Schema Jisrael שְׁמַע יִשְׂרָאֵל
04.08.2024 Das Glaubensbekenntnis des Judentums aus jüdischer Sicht
Im Judentum gibt es die Sitte, am Rahmen der Eingangstür eine Kapsel zu befestigen. In dieser Kapsel, Mesusa [מזוזה] genannt, steckt eine kleine Pergamentrolle mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis geschrieben steht. Es wird nach seinen Anfangsworten Schema Jisrael genannt, zu Deutsch: Höre Israel. Verlässt oder betritt ein Jude das Haus, küsst er die Kapsel als Zeichen der Ehrerbietung gegenüber diesem Glaubensbekenntnis. Vor ihrem Gebet binden sich Juden den Gebetsriemen [תפילה, tefilla] um den linken Arm und auf die Stirn. Auch diese enthalten eine Kapsel mit dem Schma Jisrael.
Dieses jüdische Glaubensbekenntnis ist das Herzstück jüdischen Glaubens. Das Schma Jisrael bringt man schon Kindern bei und flüstert es Neugeborenen ins Ohr als erstes Wort, das sie von der neuen Welt hören. Das Schma Jisrael sind oft die letzten Worte, die Sterbende sprechen, oder die man ihnen hinterher ruft. Mit dem Schema Jisrael beginnen Juden ihren Tag und beenden ihn. Mit dem Schema Jisrael auf den Lippen starben jüdische Märtyrer durch die Jahrhunderte hindurch. Das Schema Jisrael besteht aus Versen im 6. Kapitel des 5. Buch Moses:
“Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.”
Aufbau des Schema Jisrael
Der Mischna [מִשְׁנָה, „Wiederholung“], der ersten größeren Niederschrift der mündlichen Tora und eine der wichtigsten Sammlungen religionsgesetzlicher Überlieferungen des Judentums, folgend, ist das Schema Jisrael in drei Berachot [מַסֶּכֶת בְּרָכוֹת, “Traktate”] eingebettet; zwei gehen ihm voran, gefolgt von einer weiteren Beracha [ברכה, “Segen, Lobpreis”]. Diese Berachot gehen bereits auf die Tempelzeit zurück. Das eigentliche Schema Jisrael besteht aus drei Teilen der Tora: Devarim [דְּבָרִים, “Worte”] (das 5. Buch Mose), 6,4-9 und 11,13-21 sowie Bamidbar [בְּמִדְבַּר, “Zahlen”] (4. Buch Mose) 15,37-41.
1. Beracha: Birkat Jozer Or [בִּרְכַּת יוֹצֵר אוֹר] Segen über den Schöpfer des Lichts
Der Jozer-Segen beginnt im werktäglichen Morgengebet mit der Aufforderung zur Segnung Gottes durch den Vorbeter. Da Jozer der zentrale Begriff der ersten Beracha vor dem Schema ist, wurde der gesamte Abschnitt nach ihm benannt. Der Jozer-Segen (jozer bedeutet “schaffen, bilden”) beinhaltet eine Anerkennung Gottes als Schöpfer der Lichter: täglich bildet er von Neuem das Licht (Sonnenaufgang) und erschafft ebenso die Finsternis (Nacht). An diesen beiden Schnittpunkten Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sprechen Juden das Schema Jisrael. Im weiteren Text wird Gott als Schöpfer der Welt und allem, was sich auf ihr befindet, gepriesen. In den Abschnitt Jozer wird die Keduscha [תְּפִילַת קְדוּשָּׁה, “Heiligung(sformel)], entnommen aus den Propheten Jesaja (6,3) und Ezekiel, eingefügt. Die Keduscha ist eine Hymne, die wahrscheinlich schon auf die Tempelzeit zurückgeht. Die Betenden vereinigen sich in diesem Text mit den Engeln, um Gott als Erschaffer der Himmelsleuchten zu preisen. Die erste Beracha endet mit dem Segen: Gesegnet seist Du, der die Lichter erschafft.
Die 2. Beracha: Ahava [אַהֲבָה] Liebe
Diese Beracha beginnt mit den Worten Ahawa rabba („große Liebe“) und endet mit Habocher be`amo jisrael be`ahava [ַהַבּוֹחֵר בְּעַמּוֹ יִשְׂרָאֵל בְּאַהֲבָה]. Das Leitmotiv der zweiten Beracha ist die reine Liebe; einerseits die Liebe Gottes zu der Welt und zum Volk Israel, andererseits die Liebe Israels zu Gott und zur Tora. Während in der ersten Beracha die Schöpfung thematisiert wurde, konzentriert sich die zweite Beracha auf die Offenbarung. Beides sind Eckpfeiler des Judentums, die sich gegenseitig stützen. Da diese Beracha an keine Tageszeit gebunden war und ist, konnte sie von den Kohanim [כֹּהֲנִים, “Priester”] im Tempel bereits vor Sonnenaufgang gesprochen werden.
Schema Jisrael: Das Glaubensbekenntnis
Da das Schema Jisrael belehrende Inhalte hat, besteht die Verpflichtung, das Krijat Schema [קְרִיאַת שֵׁמַע, “Schema-Gebet”] laut und klar zu sprechen, damit man es selbst deutlich hört. Ursprünglich wurde das Schema stehend gesprochen, da es einer Zeugenaussage gleichkommt. Seit einer Auseinandersetzung der Rabbinen mit den Karäern (Oppositionsbewegung gegen die Auslegung der jüdischen Gebote mit dem Talmud im dominierenden rabbinischen Judentum) im 9. Jh. soll es aber sitzend gebetet werden. Zur Förderung der sogenannten Kawwana [כוונות, “Hingabe im Gebet”], soll sich der Betende mit der rechten Hand die Augen bedecken. Das Glaubensbekenntnis drückt die Annahme des “Joches des Himmels” aus, also die Anerkennung der Herrschaft Gottes. An diesen Satz schliesst sich direkt “Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig" an. Im Rahmen der früheren Tempelzeremonie wurde dieser Satz immer dann laut vom Volk ausgerufen, wenn die Priester den Namen Gottes aussprachen. Später sollte er aber zur Antwortformel des anwesenden Volkes auf alle von den Kohanim ausgesprochenen Berachot im Tempel werden und an die Stelle des Namens treten. Um deutlich zu machen, dass dieser Satz nicht biblischen Ursprungs ist, wird er während des Jahres leise und nur an Jom Kippur laut gesprochen.
Erster Abschnitt: Hoere Israel, der Ewige unser Gott, der Ewige ist Eins
“Gesegnet sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches für immer und ewig Du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Vermögen. Und es seien diese Worte, die Ich dir heute auftrage, auf deinem Herzen. Schärfe sie deinen Kindern ein und sprich in ihnen, wenn du zu Hause sitzest und wenn du auf dem Wege gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst. Binde sie zum Zeichen an deine Hand, und sie seien als Denkband zwischen deinen Augen. Schreibe sie an die Türpfosten deines Hauses und deiner Tore.” (Dtn 6,4-9)
Kabalat ol malchut schamajim - Die Übernahme der göttlichen Herrschaft
Im ersten Abschnitt findet sich eine Bezeugung der Einzigkeit Gottes, die auch an vielen anderen Stellen der Tora unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Betrachtet man die Unzahl materieller Dinge, die auf dieser Welt existieren, so lässt sich diese Vielzahl auf einen einzigen Ursprung zurückführen: auf ihren Schöpfer. Zudem verdeutlicht sich dies durch Gottes Transzendenz, an die eine Vielzahl von Attributen geknüpft ist. Er steht außerhalb der Schöpfung und existierte bereits vor ihr, ist unwandelbar, heilig, allwissend und allgegenwärtig. Auffallend ist, dass der letzte Buchstabe des Schema (עֵ) und derjenige des Wortes echad (ד) groesser geschrieben werden als der Rest der Zeile. Möglicherweise beruht dies auf der rabbinischen Tradition, dass beide Buchstaben zusammen das Wort עֵד, also “Zeuge” ergeben. Somit wird Israel durch die Preisung Gottes mit dem Schema Jisrael zum Zeuge von Gottes Einzigkeit, während Gott das Volk Israel preist, das seinen Auftrag erfüllt. Man soll Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele und mit seinem gesamten Vermögen lieben. Des besteht die Verpflichtung zum Studium der Tora und die Pflicht, das erworbene Wissen an Kinder und Schüler weiterzugeben. Außerdem enthält dieser Abschnitt die Verpflichtung zum Anlegen der Tefillin und zum Anbringen der Mesusa. Aus den Worten “sprich in ihnen, wenn du zu Hause sitzest und wenn du auf dem Wege gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst” schlossen die Rabbinen, dass das Schema Jisrael jeden Morgen und jeden Abend gesprochen werden muss. Der erste Abschnitt ist durchweg in der zweiten Person Singular verfasst, d.h., sein Inhalt richtet sich vordergründig an den einzelnen Menschen.
Zweiter Abschnitt: Kabalat ol mitzwot - Die Übernahme der Gebote
“Und es sei, wenn ihr auf Meine Gebote, die Ich euch heute gebiete, wirklich hoeren werdet, den Ewigen, euren Gott zu lieben und Ihm zu dienen mit eurem ganzen Herzen und eurer ganzen Seele. Dann werde ich Regen eurem Land zu seiner Zeit geben, Früh- und Spätregen, und du wirst dein Getreide einsammeln, deinen Most und dein Öl. Und ich werde Gras deinem Feld geben für dein Vieh, und du wirst essen und satt werden. Hütet euch, dass euer Herz nicht verführt werde und ihr abweicht und anderen Göttern dient und euch vor ihnen verbeugt. Dann wird der Zorn des Ewigen wider euch entbrennen, Er wird den Himmel verschließen, und es wird kein Regen sein, und die Erde wird ihren Ertrag nicht geben, und ihr werdet schnell zugrunde gehen aus dem guten Land, das der Ewige euch gibt. Legt diese Worte auf euer Herz und auf eure Seele, bindet sie zum Zeichen an eure Hand, und sie seien als Denkband zwischen euren Augen. Ihr sollt sie euren Kindern lehren und in ihnen sprechen, wenn du zu Hause sitzest und wenn du aufstehst. Und schreibe sie an die Türpfosten deines Hauses und deiner Tore. Damit eurer Tage viele werden und der Tage eurer Kinder auf dem Erdboden, den der Ewige euren Vätern zugeschworen hat, ihnen zu geben, wie die Tage des Himmels über der Erde.” (Dtn 11,13-21)
In diesem Abschnitt wird die Übernahme der göttlichen Gebote durch den Menschen thematisiert. Hier ist die Sprache von der göttlichen Strafe, die die Nichtbeachtung der Gebote nach sich zieht, aber auch von Gottes Segen und der Zusage eines langen Lebens im Falle ihrer Einhaltung. Im zweiten Abschnitt wird zum Dienst mit dem Herzen aufgefordert, was ein Hinweis auf das Gebet ist. Weiterhin wird die Aussage wiederholt, dass das Schema Jisrael morgens und abends zu sprechen sei, und erneut wird auf die Verpflichtung zu Tefillin und Mesusa hingewiesen. Auffallend ist, dass dieser Abschnitt im Gegensatz zum ersten in der zweiten Person Plural abgefasst ist. Er wendet sich daher vermutlich an die Gesamtheit des Volkes Israel.
Dritter Abschnitt: Paraschat Zizit - Der Abschnitt von den Schaufäden
“Und der Ewige sprach zu Mose und sagte: Sprich zu den Kindern Israel und sage ihnen, sie sollen sich Schaufäden machen an den Ecken ihrer Kleider fuer ihre Geschlechter, und sie sollen an den Schaufäden an der Ecke je einen himmelblauen Faden anbringen. Und es soll euch zu Schaufäden sein, und ihr sollt sie sehen und euch an alle Gebote des Ewigen erinnern und sie tun, und ihr sollt nicht eurem Herzen und euren Augen nachspähen, denen ihr nachbuhlt. Damit ihr euch erinnert und alle Meine Gebote tut und heilig seid eurem Gotte. Ich bin der Ewige, euer Gott, der Ich euch aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe, euch zum Gott zu sein. Ich bin der Ewige, euer Gott.” (Num 15,37-41)
Der dritte Abschnitt beschäftigt sich, stellvertretend für die Übernahme aller göttlichen Gebote, mit der Erfüllung der Mitzwa [מצוה] (ein Gebot, das von der talmudischen Literatur benannt wird oder aber auch von Rabbinern festgelegt werden kann) des Tallit [טַלִּית, “Gebetsmantel”], bzw. der Zizit [צִיצִית, Schaufaden] und postuliert ein Ideal der Heiligkeit. Der mythologische Zahlenwert des Wortes Zizit beträgt 600; hinzugerechnet werden die acht Fäden und fünf Knoten der Zizit. Hieraus ergibt sich die Zahl 613, die ein Hinweis auf die 613 Ge- und Verbote ist. Im dritten Abschnitt wird der Begriff Zizit dreimal erwähnt. Es besteht der Brauch, bereits vor dem Sprechen des Schema Jisrael die Zizit des Tallit in die linke Hand zu nehmen, um sie bei der Erwähnung der Zizit im Text zu den Lippen zu führen und zu küssen. Zudem wird an dieser Stelle täglich des des Auszugs aus Ägypten. Aus diesem Grund wird dieser Abschnitt auch jeziat mizrajim [יְצִיאַת מִצְרַיִם], “Der Auszug aus Ägypten”, oder nach seinen Anfangsworten wa jomer [וַיֹּאמֶר], “und Gott sprach” genannt. Zwischen dem dritten Abschnitt und dem nachfolgenden emet soll laut rabbinischer Anordnung ohne Unterbrechung weiter gebetet werden.
Die dritte Beracha: Emet [אֱמֶת], “Wahrheit” und Ge’ula [גְּאֻלָּה], “Erlösung”
Das letzte Wort des Schema Jisrael - emet Wahrheit - ist eigentlich das Anfangswort der unmittelbar anschließenden dritten Beracha und gehört nicht zum Text des dritten Abschnitts. Wahrscheinlich wurde es nachträglich an das Schema angefügt. Motiv der beracha emet ist der Dank Israels für die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und aller Wunder, was durch Zitate aus dem Lied am Schilfmeer hervorge hoben wird. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Schema Jisrael über die Erkenntnis und Anerkennung der göttlichen Herrschaft (1. Abschnitt) zur Übernahme der göttlichen Gebote (2. Abschnitt) führt, die schließlich in der individuellen Heiligkeit (3. Abschnitt) mündet.