Origenes – Ketzer oder Kirchenvater?
„Der Bann (sei gesprochen) über Origenes, der auch Adamantios heißt ..."
„Der Bann (sei gesprochen) über Origenes, der auch Adamantios heißt, welcher dies ausgesprochen hat, samt seinen abscheulichen und fluchwürdigen Lehren, und über jede Person, die dies denkt oder verteidigt ...“. So heißt es am Ende der „Neun Anathematismen“ der 543 zusammenkommenden lokalen Synode von Konstantinopelaus gegen einen der bedeutendsten Theologen der frühen Kirche. Damit wurde – mit Folgen für Jahrhunderte – ein Denker verurteilt, der selbst u. a. gegen Gnostiker aus der Schule des Valentinian geschrieben hatte und sein Leben lang nichts anderes als „altkirchlicher mainstream“ sein wollte.
Um 185 in Alexandrien geboren, war Origenes Lehrer an einer christlichen Schule seiner Heimatstadt. Ein Konflikt mit dem Bischof führte zur Übersiedlung nach Cäsarea in Palästina, wo er erneut ein Lehrhaus leitete und praktisch die ganze Heilige Schrift auslegte. Nachdem er in der Verfolgung des Jahres 251 wegen seines Glaubens gefoltert worden war, starb er bald danach. Schon zu Lebzeiten waren Teile seiner philosophisch durchdachten Theologie umstritten. Dabei ging es z. B. um die Frage, ob am Ende der Zeiten auch der Teufel erlöst werden kann. Etwa 50 Jahre nach seinem Tod schrieb Pamphilus von Cäsarea eine Apologie, in der er Origenes mit Zitaten aus dessen eigenen Werken verteidigt und behauptet, manche gewagte Ideen seien von ihm nur diskutiert und nicht behauptet worden. Außerdem habe er immer die Glaubensregel als oberste Richtschnur anerkannt. So zitiert Pamphilius etwa aus dem Hauptwerk des Origenes „Περὶ ἀρχῶν Peri archon“ [„Von den Prinzipien“]: „Die heiligen Apostel haben bezüglich bestimmter Dinge den Gläubigen alles das, was ihrer Meinung nach unbedingt notwendig war, in deutlichster Form hinterlassen. Die Erforschung des Sinnes ihrer Aussagen überließen sie jedoch denen, die durch den heiligen Geist gewürdigt wurden, besondere Gaben des Geistes zu empfangen, vornehmlich der Rede, der Weisheit und der Wissenschaft.“
Dabei war die wissenschaftliche Terminologie des Origenes derjenigen seiner Gegner, der Gnostiker, verwandt, sodass man den Eindruck haben konnte, er denke ganz ähnlich. Noch problematischer wurde das, als sich die kirchliche Lehre in einigen Punkten weiterentwickelt hatte. Deshalb musste Rufin, als er die Schrift des Pamphilus 100 Jahre später übersetzte, manches glätten und umformulieren, damit Origenes immer noch als rechtgläubig erschien – eine Steilvorlage für seine Gegner, denen die Geschichtlichkeit von Theologie ebenso wenig bewusst war wie den Anhängern des Origenes. Und so sorgte ein ganzes Netzwerk von Origenes-Gegnern, die selbst durchaus unterschiedliche Positionen vertraten, denen aber „die ganze Richtung“ seines Denkens nicht passte, für erste Verurteilungen. Als Theologen, die seine Ideen weiterentwickelten, zusätzliche Angriffspunkte boten, kam es zu dem Verdammungsurteil von 543 und 553. Allerdings hat dies nichtverhindert, dass Origenes‘ Werke – teilweise unter anderem Namen überliefert – untergründig weiterwirkten und christliches theologisches Denken bis heute befruchten.
Pamphilus von Caesarea: Apologia pro Origene / Apologie für Origenes. Übersetzt und eingeleitet von G. Röwekamp (Fontes Christiani 80), Turnhout 2006.