Die Bibel ist für uns Christen von fundamentaler Bedeutung, weil sich Gott den Menschen in ihr offenbart. Nicht nur dort, aber dort ganz besonders. Martin Luther hat das mal so formuliert: “Der Heilige Geist redet nirgends so kräftig wie in der Heiligen Schrift”. Deshalb stellt sich für jeden Leser der Bibel eine grundsätzliche Frage: IN WELCHEM VERHÄLTNIS STEHT GOTT ZUR BIBEL? Und da sind wir gleich mit dem ersten Problem konfrontiert - wir können ihn selbst nicht direkt befragen. Also sind wir gehalten, die Frage etwas bescheidener zu formulieren. Vorschlag: Von welchem Verhältnis zwischen Gott und der Bibel können wir in unserem Glauben ausgehen?
Hier ist unser Vertrauen gefordert. Das Vertrauen darauf, das wir durch die Bibel für alle wichtigen, zentralen Lebensfragen [die Theologen sprechen von “heilswichtigen” Fragen] eine grundsätzliche und zuverlässige Orientierung erhalten. Das Vertrauen darauf, das Gott bereit ist, durch die Bibel zu uns zu sprechen. Deshalb darf auch “die Kirche” nichts lehren, was dem Evangelium Jesu Christis widerspräche. Als Christen können wir uns in den heilswichtigen Fragen an keiner Weltanschauung, an keiner politischen Ideologie und an keinem philosophischen Konzept ausrichten. Unser Maßstab [Kanon] für den Glauben, die Lehre und das Leben ist und bleibt die Bibel. Keine Wissenschaft, keine Vernunft, keine Tradition und Erfahrung kann uns die grundlegenden Fragen unseres Daseins beantworten. Wer ist Gott? Wer bin ich? Warum bin ich jetzt und genau hier auf dieser Welt? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Warum haben die allermeisten Menschen ein Gewissen? Gibt es eine Hoffnung über den Tod hinaus? Was war 1 Sekunde vor dem Big Bang? In all diesen großen Lebensfragen kann uns - bei allem gebührenden Respekt vor der Erfahrung, der Vernunft und der Wissenschaft - nur die Bibel eine verlässliche und zeitlose Orientierung geben. In allen geistlichen Fragen - das sind die Fragen, welche das Verhältnis Gott und Mensch betreffen - besitzt die Bibel gegenüber allen irdischen Instanzen die höhere Autorität. Reiche, Herrscher, Gesellschaftsformen kamen und gingen bis auf den heutigen Tag, die Bibel aber blieb.
Eines bedarf aber auch der Klärung. Die Bibel ist nicht göttlich! Die Texte, die wir heute in der kanonisierten Form als Bibel kennen, entstanden nicht in chronologischer Reihenfolge und sie wurden von Menschen geschrieben (zur Problematik der Kontroverse “Verbalinspiration” versus “Realinspiration”) mehr an anderer Stelle). Die in der hebräischen Bibel enthaltenen Texte und Erzählungen, dem Tanach, den wir das “Alte”- oder “Erste Testament” nennen, wurden teils über Jahrhunderte hinweg von Autorenkollektiven immer wieder überarbeitet und im Gebet geprüft. Gott offenbart sich uns in den so entstandenen altorientalischen Weisheitstexten, die auf den Gotteserfahrungen der Menschen basieren. Und auf Grundlage dieser Gotteserfahrungen haben sie ihr Leben ausgerichtet und so auch die so gesammelten Lebenserfahrungen innerhalb ihres antiken kulturellen Kontextes mit einfließen lassen.
Die Bibel ist also nicht göttlich, das wertet sie aber keineswegs ab. Die Theologen sprechen hier von einem sogenannten “kategorialen” Unterschied. Dieser manifestiert sich in vierfacher Hinsicht:
Christen glauben an den dreieinigen Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist und sprechen im Glaubensbekenntnis nicht: ich glaube an die Bibel
Die Bibel ist in der Schöpfung Gottes entstanden. Etwas was in der Schöpfung entsteht, kann nicht auf der gleichen Autoritätsebene stehen, wie der Schöpfer selbst.
Der dreieinige Gott ist der Herr der Bibel
Die entscheidende Offenbarung Gottes ist nicht die Bibel, sondern Jesus Christus als ganzer Gott und ganzer Mensch
Die Bibel hat keine göttlichen Eigenschaften, aber eine göttliche Wirkung. Ihre Bedeutung und Unverzichtbarkeit, sowie ihre Seriosität und Authentizität, liegt nicht zuletzt in der Wirkungseinheit von Gott und Bibel. Dieses Bibelverständnis kann man auch noch folgendermaßen verdeutlichen. In der Beziehung zwischen Gott und Mensch existieren drei Autoritätsebenen:
Die oberste Autoritätsebene ist dem dreieinigen Gott vorbehalten
Die zweite, untergeordnete Ebene kommt der Heiligen Schrift zu
Die dritte, wiederum untergeordnete Ebene, “der Kirche”
Daraus folgt, das alle geistlichen Amtsträger und Theologen unter der Autorität der Heiligen Schrift stehen. Das bedeutet aber nicht, das die Heilige Schrift die gleiche Autorität wie Gott besitzt.
So weit, so gut. Wie aber gehen wir nun mit jenen Stellen im Tanach oder auch im Neuen Testament um, die mit unserem heutigen kulturellen Kontext und rational-naturwissenschaftlich dominierten Weltbild auf den ersten Blick unvereinbar sind? Hat Gott am 23.10.4040 v. Chr. die Welt erschaffen, wie Kreationisten und fundamentale Evangelikale glauben? War die Sintflut ein historisches Ereignis? Hat Gott den Menschen aus Staub geformt? War Adam der erste Mensch auf Erden? War die Schlange der Teufel? Wie ist die Auferstehung von den Toten möglich? Die Frau sei dem Mann untertan? Auf Homosexualität steht die Todesstrafe? Und wie war das eigentlich mit der unbefleckten Empfängnis?
Fragen über Fragen, denen man sich als Christ stellen muss und nicht ausweichen darf. Die historisch-kritische Methode der modernen Bibelwissenschaft ist dabei eine große Hilfe, die eigentliche Bedeutung der Jahrtausende alten Weisheitstexte in ihrer sinnlich komponierten Bildersprache (im Tanach gibt es keine abstrakten Begriffe) für uns Menschen des 21. Jahrhunderts erfassbar zu machen. Die Autorenkollektive in der Antike standen vor der Herkulesaufgabe, das eigentlich Unbegreifbare begreifbar zu machen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist ihnen das in einer Art und Weise gelungen, die einem Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift lehrt. Vorausgesetzt, man ist offen für Argumente und versteift sich nicht auf ein ideologisch genährtes, persönliches Frömmigkeitsideal und hält sich deshalb für bibeltreu. Menschen mit diesem Anspruch verteidigen nicht die Bibel, sondern ihre Sicht der Bibel. Das ist legitim, muss aber auch klar gesagt werden.
Hier auf der Seite “Bibelkunde” werde ich in Kürze in unregelmäßigen Abständen Beiträge posten, welche Antworten auf kritische Fragen zur Bibel geben sollen. Diese werden als Video, podcast oder Artikel erscheinen. Zum Teil sind dies Zusammenfassungen dessen, was wir uns gemeinsam in unserem Bibelkreis erarbeitet haben. Auf diese Art und Weise können wir auch jenen gerecht werden, die gerne am Bibelkreis teilnehmen würden, es aber nur unregelmäßig schaffen oder gar nicht kommen können.
Last, but definitely not least: Diese Beiträge beanspruchen nicht, der Weisheit letzter Schluss zu sein. Sie verstehen sich als ein theologisches Angebot, das man akzeptieren oder ablehnen kann und darf. Und auch die moderne Bibelwissenschaft kann nicht für alle Fragen zur Bibel einen im juristischen oder naturwissenschaftlichen Sinn verstandenen “Beweis” liefern. Das kann und will auch gar nicht ihr Anspruch sein. Letztlich ist Gott ein Geheimnis und das Wesen des Schöpfers wird sich während unserer irdischen Existenz keinem Menschen jemals zur Gänze erschließen. Ein hierzu passendes Schlusswort stammt von dem großen Schweizer Theologen Karl Barth: “Manche Dinge sind eben nur im Glauben erfahrbar”.