Als man vor etwa 150 Jahren in den Ruinenhügeln des Nahen Ostens altehrwürdige Städte und in den Landschaften der südlichen Levante Schauplätze biblischer Geschichte wiederentdeckte, lag der Wunsch nahe, die biblische Zeit mit wissenschaftlichen Methoden verstehen zu können. Forscher, Abenteurer, Theologen und Altertumskundler (manchmal auch alle Professionen in einer Person) durchstreiften das Heilige Land, um die materiellen Funde der Levante zu erkunden und deren Geschichte neu zu rekonstruieren.
Die Verknüpfung von Bibelauslegung mit landeskundlicher und archäologischer Forschung ist von Beginn an wissenschaftliche Herausforderung und Problem der Biblischen Archäologie zugleich gewesen. So waren es häufig gerade Bibelwissenschaftler, die Ausgrabungen im Heiligen Land organisierten und durchführten.
Die Suche nach der Welt der Bibel begann im Abendland
Der Feldzug Napoleon Bonapartes im Jahr 1798 nach Ägypten führte zu einer bis dahin ungeahnten Begeisterung für den Orient. Eine „wissenschaftliche Sondereinheit“ der französischen Armee dokumentierte die ungeahnten Schätze Ägyptens in beeindruckender Weise und ließ sie nach Europa transportieren. So wurden sie im Abendland bekannt. Der von französischen Soldaten bei Schanzarbeiten aufgefundene und später von den Briten erbeutete Stein von Rosette lieferte den Schlüssel zur Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphenschrift und damit den Zugang zu einer nahezu unendlichen Quelle des Wissens über das Alte Ägypten. Die Faszination, die der Anblick dieser unglaublichen Funde einer fernen, alten Kultur im Wüstensand Ägyptens auf die staunende europäische Öffentlichkeit machte, führte zu einer Begeisterung für alles Alt ägyptische, für ägyptische Mode, für Mobiliar und selbst für die Baukunst – sie wuchs sich zu einer regelrechten „Ägyptomania“ aus.
Das Abendland wartete nun gespannt auf die Entdeckung der alten Städte und Reiche, die man aus dem Alten Testament kannte. Zuallererst suchte man nach der reichen Stadt Ninive, die in den Büchern Jona und Judit als Weltstadt beschrieben wird. – War sie nur eine biblische Fiktion oder vielleicht doch Wirklichkeit?
Der Wettlauf um die Entdeckung Ninives ging in die Forschungsgeschichte ein
Erste große Ausgrabungen unternahm der französische Konsul und Arzt Paul Émile Botta (1802–1870). Ursprünglich hatte er 1842 unweit von Mosul, auf dem Quyungĭq genannten Hügel am Ostufer des Tigris, nach Ninive gesucht. Nach drei Monaten Arbeit ohne (für seine Vorstellungen) „angemessene“ Funde war er der Überzeugung, auf dem falschen Hügel zu sein. Also ging er ins nahe gelegene Horsabad . Dort stieß er schon nach einer Woche auf eine eindrucksvolle assyrische Monumentalarchitektur und nahm an, dass es sich um die Stadt Ninive handelte. Deren Entdeckung blieb aber seinem britischen Kollegen Austen Henry Layard vorbehalten, der bald nach Botta in Quyungĭq grub und damit in die Geschichte der Archäologie einging. Nur ein paar Jahrzehnte später fand man in Quyungĭq auch Keilschrifttafeln mit der Erzählung von einer Sintflut – das Gilgameschepos. Sie stammten aus der Bibliothek des großen Königs Assurbanipal (669–627 vC). Dieser Fund elektrisierte die Orientalisten derart, dass eine regelrechte Jagd auf Keilschrifttafeln einsetzte, die sogenannte tablet hunt.
Die Anfänge der Forschung in der südlichen Levante
1865 durchstreifte der britische Offizier Charles William Wilson das Gebiet von Beirut bis Jerusalem. In Jerusalem unternahm er einige Grabungen, auch ganz in der Nähe der Klagemauer. Dabei entdeckte er u. a. einen Mauerbogen, der zu Herodes’ Zeiten die Oberstadt mit dem Tempelbereich verband und seither seinen Namen trägt: Wilsonbogen. Der Alttestamentler Edward Robinson (1794–1863) reiste damals ebenfalls durch das Heilige Land, schloss von den modernen arabischen Namen auf die alten biblischen und identifizierte so Hunderte Orte. Dennoch konnte er bei Weitem nicht alle wichtigen biblischen Stätten finden. So stand er z. B. – Megiddo suchend – auf dem Tell es-Mutesellim und wusste nicht, dass es sich bei diesem Tell um einen von Menschen gemachten Hügel handelte, in dem sich die von ihm gesuchte Stadt befand. Sehr bald stellte sich heraus, dass eine systematische Erforschung Jerusalems angesichts der Überbauung und der komplizierten Eigentumsrechte schwierig und die damals üblichen Tunnelgrabungen nicht nur zu gefährlich, sondern auch wenig ertragreich waren. Daraufhin sah man von Grabungen in Jerusalem ab und legte den Schwerpunkt auf die systematische Erkundung des Heiligen Landes. Die leitenden Ideen der Pioniere der archäologischen Arbeit blieben jedoch die selben. Die American Palestine Exploration Society brachte sie 1870 auf den Punkt: „Was auch immer in der Lage ist, die Geschichte der Bibel als echt zu er weisen [...], ist eine Widerlegung des Unglaubens.“
Ende des 19. Jh. wurde die Biblische Archäologie zum ersten Mal grundlegend herausgefordert. Die biblisch motivierten „Learning by Doing“-Archäologen erlebten 1890 auf dem Tell el-Ḥesi- (im Hügelland der Schefela, nicht weit von Lachisch) die damals revolutionären Grabungsmethoden des zuvor in Ägypten tätigen britischen Forschers Sir William M. Flinders Petrie. Er war der Erste, der die in der Landschaft verteilten Tells als das erkannte, was sie waren: schichtenweise aufgehäufte Reste von Siedlungen. Auf dem Tell el-Ḥesi führte er die stratigraphische Ausgrabungsmethode ein, für deren Durchbruch Heinrich Schliemann und Wilhelm Dörpfeld in den beiden Jahrzehnten zuvor in Troia und Mykene wichtige Vorarbeiten geleistet hatten.
Dies blieb nicht der einzige Wendepunkt in der mit vielen Skandalen und Fehlurteilen behafteten Geschichte der Biblischen Archäologie: So glaubte man z. B. die Mauern Jerichos aufgefunden zu haben, auch wenn diese Hunderte Jahre zu alt für die biblische Geschichte waren; außerdem lokalisierte man in Ur die Schwemmschichten der Sintflut und leistet sich bis heute den öffentlich breit ausgetragenen Streit um die angeblichen Paläste Davids und Städte Salomos. Vielfach angestachelt von Bibelwissenschaftlern, die die Möglichkeiten der Archäologie nicht immer korrekt einschätz(t)en und sich auch deren Methoden nicht durchgängig sicher waren bzw. sind, wird die Biblische Archäologie bis heute von vielen als eine interessengelenkte Gesinnungswissenschaft wahr genommen.
Die traditionelle biblische Archäologie ist überholt
William G. Devers Vortrag anlässlich der 100-jährigen Wiederkehr von Petries erster stratigraphischer Grabung auf dem Tell el-Ḥ esi bedeutete einen weiteren Wendepunkt im Nachdenken über die Biblische Archäologie: „Während des größten Teils der ersten hundert Jahre wurde syropalästinensische Archäologie durch biblische Interessen dominiert. Aber wenn wir nun ihr hundertjähriges Bestehen feiern, sollte es endlich klar sein, dass diese traditionelle biblische Archäologie tot ist.“ Er selbst hatte einige Jahre zuvor die „Todesanzeige der Biblischen Archäologie“ – wie er es selbst nannte – verfasst. William G. Devers‘ ernüchternde Bilanz des Zustandes seiner Wissenschaft hat die unterschiedlichsten Reaktionen hervorgerufen. Sein Wunsch, tatsächlich eine New Biblical Archaeology zu schaffen, wurde indes nicht erfüllt. Auch seine großen Erwartungen an die Veränderbarkeit der Biblischen Archäologie wurden nicht wahr. Daher ist in allen Ländern der südlichen Levante innerhalb der letzten Jahrzehnte neben die Biblische Archäologie eine starke, von lokalen wie ausländischen Wissenschaftlern vertretene selbstbewusste Vorderasiatische Archäologie getreten.
Doch selbst wenn man die Biblische Archäologie vom Vorrang exegetischer Fragestellungen und Denkweisen befreit, so bleibt die Aufgabe, die den geographischen Bereich betreffenden Texte – wovon die Bibel zweifelsfrei der umfassendste ist – unter Berücksichtigung der Ausgrabungsbefunde zu erklären. Texte und archäologische Quellen – so unterschiedlich sie auch sein mögen – brauchen je eine sachgerechte Auslegung. Die Biblische Archäologie hat daher nur dann eine Zukunft, wenn sie als echter Teil der Vorderasiatischen Archäologie mit allen Texten des Vorderen Orients sachgerecht umzugehen versteht. Sie erfordert – das ist unser nachdrückliches Bekenntnis – eine doppelte wissenschaftliche Qualifikation der Forscher – und zwar sowohl als Archäologen wie auch als Theologen.
[Prof. Dr. Dr. Dr. Dieter Vieweger ist Direktor des Deutschen Evangelischen Institutes für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes Jerusalem und Amman, zugleich Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts.]