Die Könige von Israel und Juda II
02.04.2025 Die Hintergründe der biblischen Gedankenwelt. Teil I
Die Königsbücher geben jedem einzelnen König seine persönliche Bilanz, Daumen hoch oder Daumen runter. Genau zwei Kriterien gibt es dafür: Hat er den JHWH-Kult von fremden Göttern rein gehalten? Hat er dafür gesorgt, dass es nur ein Heiligtum in Jerusalem gibt?
Die biblische Darstellung der Geschichte über die Könige Israels und Judas ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte: Auf den Zerfall des davidisch-salomonischen Großreichs folgt nicht nur der Untergang des Nordreichs Israel, sondern mittelfristig auch derjenige des Südreichs Juda samt der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Am Ende der Königsbücher hat das Volk Israel nicht nur seine politische Eigenständigkeit, sondern auch den einzigen Ort zur Verehrung von und Begegnung mit JHWH verloren. Das Gottesvolk ist zurückgeworfen in eine Existenz ohne institutionalisierte Führung. Insofern der König für das Gottesverhältnis des Volkes verantwortlich ist, steht ganz Israel damit nicht nur vor einem politischen Problem, sondern auch vor neuen theologischen Herausforderungen! Auch wenn die biblische Darstellung keinesfalls als pure Fiktion abgetan werden kann und in Einzelfällen durchaus auf älteren Quellen beruhen mag, darf sie dennoch nicht als historischer Tatsachenbericht oder Geschichtsschreibung in einem modernen Sinne missverstanden werden.
Vielmehr handelt es sich um gedeutete, oder anders formuliert, theologisch reflektierte Geschichte. Dabei ist eine randscharfe Unterscheidung zwischen Story (dem Erzählten) und History (dem Gewesenen) insbesondere im Falle der Königsbücher kaum möglich, da das Erzählte nicht unabhängig von dem Gewesenen ist. Im Erzählen konstruiert Israel eine Vergangenheit als Geschichte mit Bedeutung für die Gegenwart – und gerade im Spannungsverhältnis zwischen Story und History verbergen sich die theologischen Aussagen. Wie und wann entstehen die Erzählungen über die Könige? Die Königsbücher sind in einem langen und komplexen Prozess entstanden. Größtenteils wurden sie im und nach dem Exil niedergeschrieben (586–530 vC), viele Passagen auch schon davor. Überwiegend dienen die Texte also späteren theologischen und politischen Zwecken. Die Autoren- und Redaktorenkreise der Königsbücher blicken auf die Katastrophen des Untergangs Israels, Judas und der Deportation ins Exil zurück und suchen sie literarisch sowie theologisch zu erklären und zu verarbeiten. Dabei gehört es zur Eigenart der Königsbücher, die Schuld bei den Königen Israels und Judas zu suchen. Die Könige werden jedoch nicht an ihrer Führungskompetenz, ihrem politischen Geschick oder gar ihrer sozialen Gerechtigkeit gemessen. Vielmehr geht es um eine Bewertung der Könige unter Berücksichtigung der deuteronomistischen Theologie*, die die Einheit (JHWH als einziger Gott) und Reinheit (JHWH-Kult ohne fremde Einflüsse) des Kultes in den Vordergrund rückt. Von daher stellt die Kultpolitik der Könige den entscheidenden Bewertungsmaßstab dar. Das Gesamtbild, das die Texte von der Königszeit zeichnen, ist dabei recht ernüchternd und lässt zudem eine sichtlich pro-judäische Perspektive aufscheinen: Kein einziger König Israels und auch nur einige wenige Könige Judas – aber immerhin – werden positiv beurteilt. Die Aussage könnte kaum deutlicher sein: Es sind die Könige Israels und Judas, die Führer und Repräsentanten des Gottesvolkes, die die Katastrophe(n) verantworten und verschulden.
In Juda die Guten, in Israel die weniger Guten
Wie stark die pro-judäische Perspektive in der biblischen Darstellung der Königsbücher durchschlägt, wird erst dann richtig ersichtlich, wenn man sie mit außerbiblischen Quellen zusammenbringt, die ein gänzlich entgegengesetztes Bild zeichnen: Historisch betrachtet hat es weder die einheitliche, große davidisch-salomonische Monarchie noch die Reichsteilung gegeben, von der 1.Kön 12 erzählt und durch die Israel und Juda entstanden sein sollen. Vielmehr ist von Beginn an mit zwei territorialen Einheiten beziehungsweise Staaten zu rechnen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise entwickelt haben. Während die biblische Geschichtsschreibung das Nordreich Israel von Anfang an unter ein negatives Vorzeichen stellt und dem Südreich Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem eine enorme Macht und Größe zuschreibt, lehrt die neuere Geschichtsforschung, dass es sich wohl historisch genau umgekehrt verhält. Hinweise auf staatliche Strukturen finden sich im Nordstaat bereits ab dem 9. Jh. vC, in Juda aber erst ab dem 8. Jh. vC. Generell haben sich die beiden Staaten ins besondere in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht zeitlich um ein Jahrhundert versetzt entwickelt, wobei Israel – und eben nicht Juda – eine Vorreiterrolle zukam. Der Südstaat ist erst mit dem zunehmenden aramäischen Druck auf den Nordstaat und dessen Untergang im Zuge der assyrischen Eroberung um 722 vC aufgeblüht. Die Formierung Judas als Staat hängt also wesentlich mit dem Nordstaat zusammen. Gewissermaßen entsteht Juda erst durch Israel. Die Zeit bis zur Eroberung Jerusalems 586 vC durch die Babylonier sollte für Juda zu einer Blütezeit werden, in der sich nicht nur wichtige religionsgeschichtliche Entwicklungen vollzogen, sondern die auch die Produktion antiker Traditionsliteratur beflügeln sollte. Wenn die Königsbücher den politisch und ökonomisch überlegenen Nordstaat Israel als Ableger Judas zeichnen, ist das sichtlich tendenziös. Es dient der theologisch-politischen Aufwertung des Südstaates einerseits und der kultpolitischen Abwertung des Nordstaates andererseits. Es ist eine judäische Perspektive, die in Zeiten massiver gesellschaftlicher Umbruchprozesse eine neue Identität zu stiften sucht und im Sinne einer identitätskonstituierenden Abgrenzungsstrategie die originären Verbindungen zu Israel verschleiert.
Die Königsschemata in den Büchern der Könige
Alle Könige werden nach einem ganz bestimmten Schema vorgestellt – diese „Königsschemata“ gliedern und gestalten die Königsbücher ganz wesentlich. Sie rahmen die Darstellung der einzelnen Könige Israels und Judas mit Angaben zum Beginn und zum Ende der Regierung und folgen in der Regel einem bestimmten stereotypen Ablauf in leichter Variation. Mit nur wenigen Ausnahmen hat jeder König ein Rahmenstück. Da der Herrschaftsantritt bei Jerobeam I. (1.Kön 12,1–14,20) und Jehu (2.Kön 9,1–10,36) etwas ausführlicher erzählt wird, fehlt an diesen Stellen das Einleitungsformular. Bei Königen, die deportiert werden (Hoschea, Joahas, Jojachin), fehlt hingegen das Abschlussformular. Nur in einem einzigen Fall fehlt das gesamte Rahmenstück: Königin Atalja (2.Kön 11,1-20), deren Herrschaft damit als illegitim herausgestellt wird.
Das Einleitungsformular besteht aus höchstens fünf Elementen: der synchronistischen Datierung (also der Erwähnung, welcher König gerade bei den Nachbarn im Süden oder Norden regierte), dem Alter bei der Thronbesteigung, der Regierungsdauer, dem Namen der Mutter und der religiösen Beurteilung. Insbesondere die Synchronismen sind bemerkenswert, da sie die Könige Israels und Judas in der Darstellung zusammenbinden. So folgen zum Beispiel auf die Darstellung der Regentschaft Jerobeams I. von Israel zunächst Ausführungen über drei Könige von Juda – Rehabeam, Abija und Asa –, die während Jerobeams Herrschaft regierten. Erst danach wechselt die Darstellung mit Nadab und Bascha wieder zu den Königen Israels. Diese Darstellungsform ist angesichts des pro-judäischen Grundtenors erklärungsbedürftig. Möglicherweise gehen die Synchronismen auf ältere Quellen zurück, die die anfängliche Abhängigkeit Judas von Israel bewahren. Oder aber sie dienen gemeinsam mit den religiösen Bewertungen der Diskreditierung Samarias in nachexilischer Zeit. Das Herzstück der Einleitung ist jedoch die religiöse Beurteilung. In recht standardisierten Formulierungen wie „Er tat das Rechte/Böse in den Augen des Herrn, ganz wie sein Vater“ wird der jeweilige König danach beurteilt, ob und inwiefern er sich an die Forderung nach Kulteinheit und Kultreinheit gehalten hat.
Das Abschlussformular wiederum besteht aus höchstens vier Elementen: dem Hinweis auf eine Quelle, der Todesnotiz sowie der Nennung von Bestattung (und Ort) und Nachfolger. Die genannten Quellen („Chronik der Könige von Israel/Juda“) können nicht ohne Weiteres mit den alten Quellen gleichgesetzt werden, die möglicherweise den Autoren- und Redaktorenkreisen der Königsbücher vorlagen – auch wenn dies nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. In jedem Fall handelt es sich um eine Textstrategie, die Geschichte der Könige Israels und Judas als authentische Geschichtsschreibung zu präsentieren und zu legitimieren. Bereits in den Rahmenstücken ist ein judäischer Blick auf die Geschichte unverkennbar, insofern das Formular bei judäischen Königen etwas ausführlicher ist. Denn während sich die Informationen über die Könige Israels in der Regel auf die Datierung, die Regierungsdauer, die Beurteilung, den Hinweis auf eine Quelle und den Nachfolger beschränken, bietet die Darstellung der Könige Judas demgegenüber zusätzlich noch das Alter bei der Thronbesteigung, den Namen der Mutter und eine Bestattungsnotiz (s. Schaubild S. 13). Insbesondere die beiden zuletzt genannten Aspekte lassen ein stärkeres Interesse daran aufscheinen, die judäischen Könige als davidisches Königsgeschlecht zu legitimieren. Möglicherweise spricht aber die leicht variierende Darstellungsform auch dafür, dass hier Nordund Südreichtraditionen miteinander verbunden und kombiniert worden sind.
- Teil II folgt nächste Woche -
* Das Deuteronomium („zweites Gesetz“, Dtn) ist ein Buch, das in seinem Kernbestand im 7. Jh. vC entstanden und in den folgenden Jahrhunderten bis in die Perserzeit redaktionell bearbeitet worden ist. Szenisch spielt es an der Grenze zum Verheißenen Land und ist über weite Strecken als Moserede an seinem Todestag stilisiert. In seiner großen Abschiedsrede rekapituliert Mose die Ereignisse der Wüstenwanderung, interpretiert das am Sinai geoffenbarte Gesetz und verpflichtet Israel neu auf den Bund mit Gott. Dabei zeigt das Dtn eine eigene Sprache und Theologie, in dessen Fokus oftmals der eine Kult(ort) des einen erwählten Gottesvolkes für den einen Gott JHWH steht. Als deuteronomistisch werden Textschichten oder Redaktionen im Alten Testament bezeichnet, die von der Sprache und Ideenwelt des Deuteronomiums geprägt sind oder hergeleitet werden können.
[Prof. Dr. Katharina Pyschny lehrt Biblische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Humboldtuniversität zu Berlin]