Übersicht über das Evangelium nach Markus
Jesu Wirken in Galiläa und unter den Heiden (1,1-8,26)
Jüngerbelehrung über die Leidensnachfolge (8,2-10,52)
Jesu Wirken in Jerusalem (11,1-13,37)
Passion (14,1-15,47)
Geschichte vom leeren Grab (16,1-8)
Ostergeschichten (sekundärer Markusschluss) (16,9-20)
Der Verfasser
Die altkirchliche Tradition schreibt das zweite Evangelium Johannes Markus (Apg 12,12) zu. Nach Papias soll Markus Dolmetscher des Petrus gewesen sein und das von diesem verkündigte Evangelium aufgeschrieben haben. Da die Autorisierung des Evangeliums durch den Apostel nur indirekt erfolgt, war die Namenstradition Papias wohl schon vorgegeben. Anlass für die Verbindung mit Petrus könnte 1Petr 5,13 gewesen sein. Das Evangelium selbst lässt kein besonderes Interesse an Petrus erkennen. Seine Rolle als Sprecher des Zwölferkreises ist traditionell. Das beweist die parallele Darstellung im Evangelium nach Johannes. Man muss daher davon ausgehen, dass das Evangelium von einem uns sonst unbekannten Christen verfasst worden ist, der möglicherweise tatsächlich Markus hieß. Markus schreibt für eine griechisch sprechende, heidenchristliche Gemeinde, die außerhalb Palästinas leben dürfte. Er übersetzt nämlich alle hebräischen und aramäischen Ausdrücke korrekt ins Griechische und erklärt jüdische Ritualvorschriften ausführlich.
Die Adressaten
Die Abfassung des Evangeliums wird in der altkirchlichen Tradition in Rom lokalisiert. Dieser Entstehungsort wird aufgrund zahlreicher Latinismen angenommen. Dagegen spricht, dass im EMk kein spezifischer Bezug zu den Problemen der stadtrömischen Gemeinden erkennbar ist und die Latinismen allesamt aus den Bereichen Militär und Wirtschaft stammen, also nicht zwingend auf das Zentrum des Reiches deuten. Vermutlich ist das Evangelium daher eher in Südsyrien – Dekapolis – verfasst worden. Diese These erklärt am besten die Bezeichnung des Sees Gennesaret als „Meer“, die sowohl geographische Nähe zum entsprechenden Gewässer als auch Ferne zu einem wirklichen Meer voraussetzt.
Abfassungszeit und -situation
Die synoptische Apokalypse in Kap. 13 lässt vermuten, dass das Mk in den turbulenten Zeiten kurz nach der Eroberung Jerusalems durch die Römer im Jüdischen Krieg (August 70) entstanden ist. Der Verfasser steht noch unter dem Eindruck der Kriegsereignisse und ist offensichtlich bemüht, aufkeimende apokalyptische Erwartungen und Befürchtungen zu dämpfen. Die Gemeinde soll in den Verfolgungen gestärkt werden, die im und nach dem jüdischen Krieg gerade in Syrien auch alle die Gruppen trafen, die dem Judentum nahestanden. Für die Gemeinde, für die der Autor Markus schreibt, ist die jüdische Tora nicht mehr als Kultgesetz, sondern primär als ethische Weisung relevant. Es ist daher sicher kein Zufall, dass das Doppelgebot der Liebe sowohl den Höhepunkt als auch das Ziel der Auseinandersetzungen und Gespräche Jesu mit den Repräsentanten des Judentums über die Tora bildet (12,28-34). Dabei versteht der Verfasser das Gebot als allgemeines Prinzip, das durch das jeweilige Handeln konkret gefüllt werden muss.
Allem Anschein nach betrieb die angesprochene Gemeinde selbst Mission unter den Heiden, denn die Wirksamkeit Jesu schließt nichtjüdisches Gebiet ausdrücklich mit ein (7,24-37; 5,1-20) und die Verkündigung des Evangeliums unter allen Völkern gilt als Vorbedingung der Parusie (Wiederkunft Jesu). Schließlich ist es ausgerechnet ein Heide, der römische Centurio unter dem Kreuz, der auf der Erzählebene als erster Mensch das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes spricht (15,39).
Jesu Wirken in Galiläa und unter den Heiden
Überschrift (1,1)
Auftreten des Täufers, Taufe Jesu, Versuchung (1,2-13)
Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa (1,14-45)
Streitgespräche um die Vollmacht Jesu (2,1-3,6)
Auseinandersetzung ueber die Wunder, Berufung der 12 Jünger (3,7-35)
Lehre in Gleichnissen (4,1-34)
Wundergeschichten (4,35-5,43)
Abschluß der Verkündigung in Galiläa (6,1-56)
Auseinandersetzung um Gesetzesfragen (rein und unrein); Wunder auf heidnischem Gebiet (7,1-8,9)
Rückkehr nach Galiläa, Unverständnis der Jünger (8,10-26)
Mit der Überschrift (1,1) beschreibt Markus das Anliegen und den Inhalt seines Werkes. Er will von der Verkündigung Jesu Christi berichten und zugleich Jesus Christus, den Sohn Gottes, verkündigen (die griechische Formulierung schließt beides ein).
Der Täufer tritt als Vorläufer und Vorbereiter Jesu auf (1,2-13). In der Taufe proklamiert die Gottesstimme die Gottessohnschaft Jesu. „Sohn Gottes“ ist für den Evangelisten ein besonders wichtiger christologischer Titel. Er begegnet dreimal an prominenter Stelle – bei der Taufe Jesu, in der Verklärungsgeschichte (9,7) und als Bekenntnis des Centurio unter dem Kreuz (15,39). Damit umfasst der Evangelist in diesem Titel den gesamten Weg Jesu, der im EMk ganz auf das Kreuz ausgerichtet ist. Am Beginn der Wirksamkeit Jesu in Galiläa (1,14-45) fasst Markus die Verkündigung Jesu in einem programmatischen Summarium zusammen (1,15). Über ihren Erfolg berichtet er nach dem kurzen Abschnitt über die Berufung der ersten Jünger.
Jesu Lehre (1,22) und die Dämonenaustreibung (1,27) rufen das Erstaunen der Synagogenbesucher über die offensichtliche Vollmacht Jesu hervor. Damit benennt der Evangelist ein entscheidendes Thema der ersten Kapitel. In den Wundergeschichten begegnen bereits wesentliche Elemente der sogenannten markinischen „Geheimnistheorie“. Nur die Dämonen erkennen bzw. kennen Jesus (1,24.34; 3,11), aber Jesus gebietet ihnen Schweigen (1,25.34; 3,12). Am Ende des Abschnitts verbietet Jesus erstmalig einem Geheilten, von seiner Heilung zu berichten (1,44). Das Verbot wird aber sofort durchbrochen (1,45).
Die Streitgespräche knüpfen an das Vollmachtsthema an (2,10). Danach gewinnt die Auseinandersetzung zunehmend an Schärfe (Konflikt um das zentrale Sabbatgebot) und strebt auf den Höhepunkt in 3,6 zu. Bereits jetzt beschließen nach der Darstellung des EMk die Pharisäer und Anhänger des Herodes den Tod Jesu. Damit ist für den Leser das Kreuz bei der weiteren Lektüre ständig präsent. Auch die Jünger sind wie Jesus zum Verkündigen und Austreiben der Dämonen berufen (3,14f.). Potentiell sind sie damit den gleichen Vorwürfen ausgesetzt wie er: Seine Verwandten halten ihn für verrückt (3,21) und seine Gegner erheben den Vorwurf, er treibe mit Beelzebul die Dämonen aus (3,22). Gegen diesen Vorwurf wehrt sich Jesus mit Vergleichen aus öffentlicher und privater Sphäre und dem Gegenvorwurf der Blasphemie. Nur wer den Willen Gottes tut, gehört zur Familie Jesu (3,7-35).
Die Gleichnisrede (4,1-34) reflektiert zunächst das Thema des Hörens und redet dann vom Wesen des Gottesreiches. Die Gleichnisse sind als Rätselrede verstanden. Jesus redet in Gleichnissen, den Jüngern wird das „Geheimnis des Gottesreiches“ zuteil, aber sie bedürfen der Belehrung Jesu (4,11.34). Die folgenden Wundergeschichten demonstrieren erneut die Vollmacht Jesu. Wieder begegnen die schon bekannten literarischen Mittel: Schweigegebot (5,43), Kenntnis der Dämonen (5,7). Daneben ist zum ersten Mal deutlich vom Unverständnis der Jünger die Rede (4,40f.). Wie schon in 2,5 spielt der Glaube der dann Geheilten in den Wundern eine wichtige Rolle (5,34). Die Geschichte von der Heilung des besessenen Geraseners führt Jesus auf heidnisches Gebiet (Dekapolis). Dadurch wird auch hier die Botschaft von ihm ausgebreitet (5,20).
In Kap. 6 berichtet der Evangelist von dem Unverständnis und der Ablehnung, die Jesus erfährt. Am Ende wird angesichts der Reaktion der Jünger auf den Seewandel Jesu konstatiert, dass auch sie verstockt sind (6,52; Steigerung des Jüngerunverständnisses). Das Essen der Jünger mit unreinen Händen provoziert die Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern über die Frage von rein und unrein (im kultischen Sinne). Jesus lehnt die „Überlieferung der Menschen“ ab und betont den Vorrang des göttlichen Wortes. 7,15 mit der anschließenden Jüngerbelehrung deutet die Reinheitsgebote auf das ethische Verhalten. Die Pharisäer aber fordern ein Zeichen von ihm, weshalb er die Jünger vor ihnen warnt. Sie aber sind immer noch ohne Verständnis (8,17f.; 8,21). Sicher nicht zufällig folgt eine Blindenheilung (8,10-26).
Jüngerbelehrung über die Leidensnachfolge
Petrusbekenntnis, 1. Leidensankündigung, Leidensnachfolge (8,27-9,1)
Verklärung, Heilung des epileptischen Knaben (9,2-29)
2. Leidensankündigung, Jüngerbelehrung (9,30-50)
Auf dem Weg nach Jerusalem: Streitgespräch, Jüngerbelehrung, 3. Leidensankündigung, Blindenheilung (10,1-52)
Das stellvertretend für die Jünger von Petrus gesprochene Messiasbekenntnis (8,29) scheint das Missverständnis der Jünger zunächst zu beenden (Schweigegebot 8,30). Die Reaktion auf die erste Leidensankündigung zeigt aber sogleich, dass ihnen das wahre Wesen Jesu immer noch verborgen geblieben ist. Jesus ist nach göttlichem Willen der leidende Menschensohn. In der Verklärungsgeschichte wird Jesus deshalb vor den ausgewählten Jüngern als der Gottessohn proklamiert (9,7). Die Geschichte von der Heilung des epileptischen Knaben macht das Versagen der Jünger zum Thema. Ihnen gilt der Ausruf Jesu (9,19), dass sie ein ungläubiges Geschlecht seien. Dagegen setzt der Evangelist: „Alles kann, wer glaubt!“ (9,23).
Die 2. Leidensankündigung eröffnet eine Reihe von Jüngerbelehrungen: Rangstreit unter den Jüngern, Umgang mit fremden Exorzisten, Warnung vor Verführung und Mahnung zur Einigkeit. Der Evangelist reflektiert hier Gemeindeprobleme. Diese stehen offenbar auch bei den folgenden Perikopen im Hintergrund, obwohl es sich in 10,2-12 auf der Erzählebene um ein Streitgespräch mit den Pharisäern handelt. Die 3. Leidensankündigung und die mit ihr verbundene Jüngerbelehrung verknüpfen erneut den Leidensweg des Messias und das Geschick der Jünger. Er gibt sein Leben „als Lösegeld für viele“ (10,45). Sie gehen den Weg der Leidensnachfolge, der keine Ansprüche auf Lohn hat. Die abschließende Blindenheilung bildet mit 8,22-26 einen Rahmen und leitet durch die Anrede „Sohn Davids“ (10,48) zum 3. Hauptteil über.
Jesu Wirken in Jerusalem
Einzug in Jerusalem, Tempelreinigung, Macht des Glaubens (11,1-26)
Streit um die Vollmacht Jesu (11,27-12,12)
Diskussion um Grundsatzfragen des Glaubens (12,13-44)
Rede von den letzten Dingen (13,1-37)
Der Einzug Jesu in Jerusalem wird von der begleitenden Volksmenge als Kommen des Davidreiches gefeiert. In der Tempelreinigung zeigt der Evangelist, wie das zu verstehen ist: der Tempel soll „ein Haus des Gebetes für alle Völker sein“ (11,17). Die Verfluchung des Feigenbaumes interpretiert er folgerichtig als Belehrung über die Macht des Gebetes (11,1-25). Das Auftreten Jesu provoziert die Frage der Repräsentanten des Volkes nach seiner Vollmacht. Jesus wendet die Frage gegen die Frager, indem er sie auf ihr Verhalten gegen die Gesandten Gottes anspricht. Aus der Sicht des Evangelisten bildet die Ablehnung und Verfolgung Jesu den negativen Höhepunkt einer langen Geschichte der Ablehnung der Boten Gottes.
Die folgenden Perikopen haben zentrale Fragen jüdischer Frömmigkeit zum Thema: Verhältnis zur fremden staatlichen Obrigkeit, Auferstehung der Toten, Frage nach dem wichtigsten Gebot und Frage nach dem Messias. Der Evangelist beschreibt auf diese Weise Grundpositionen der Christen. Am Ende ist Jesus Souverän der Szene und wendet sich gegen die als vordergründig geschilderte Frömmigkeit der Schriftgelehrten. Dagegen wird die Gebebereitschaft der armen Witwe als Kontrast geschildert (12,13-44).
Die Rede von den letzten Dingen (13,1-37) schließt die Lehre Jesu ab. Sie wird ausdrücklich als exklusive Jüngerbelehrung verstanden (13,3). Die Rede warnt vor der Irreführung durch Pseudochristusse und Pseudopropheten, der Missdeutung kriegerischer Ereignisse als Zeichen der Endzeit und bereitet auf Verfolgungen der Christen vor. Am Ende stehen die Ankündigung des Kommens des Menschensohns und seiner Engel als wahres Zeichen der Endzeit und die Mahnung zur Wachsamkeit.
Die Passionsgeschichte
Endgültiger Todesbeschluß der Hohenpriester und Schriftgelehrten (14,1ff.)
Salbung in Betanien, Verrat des Judas Iskariot (14,3-11)
Letztes Mahl Jesu mit seinen Jüngern (Abendmahlsworte) (14,12-31)
Getsemani, Gefangennahme und Flucht der Jünger (14,32-52)
Verhandlung vor dem Hohen Rat, Verleugnung des Petrus (14,53-72)
Verhandlung vor Pilatus (15,1-15)
Verspottung durch die Soldaten, Kreuzigung (15,16-41)
Grablegung Jesu (15,42-47)
Die Passionsgeschichte ist weithin von den alttestamentlichen Leidenspsalmen her gedeutet und erzählt. Eine besondere Rolle spielt dabei Ps 22, dessen Beginn als Schrei Jesu am Kreuz zitiert wird (15,34). Die einzelnen Ereignisse sind durch ein Tagesschema und am letzten Tag durch ein Stundenschema miteinander verknüpft. Der Bericht über das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern bietet bei der Überlieferung der Abendmahlsworte einige wichtige Nuancen zu 1.Kor 11,23-25. So fehlt im Brotwort das „für euch“ aus 1.Kor 11,24.
Der Schluss des Markusevangeliums
Ursprünglicher Schluß des Mk
Die Frauen am leeren Grab (16,1-8)
Ostergeschichten (sekundärer Markusschluß)
Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena (16,9-11)
Erscheinung des Auferstandenen vor zwei Jüngern (16,12f.)
Erscheinung des Auferstandenen vor den 11 Jüngern, Verkündigungsauftrag, Himmelfahrt, Wirksamkeit der Jünger (16,14-20)
Der Schluss des Mk bildet ein besonderes Problem. Das EMt und ELk kennen das EMk nur bis 16,8. Auch die besten griechischen Handschriften des Neuen Testaments enden mit diesem Vers. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die in Mk 16,9-20 berichteten Ostergeschichten eine Kompilation aus den Ostergeschichten der anderen Evangelien darstellen, also später angefügt worden sind. Es ist in der Forschung umstritten, ob Markus ursprünglich mit 16,8 geendet hat, da das Nichtweiterverbreiten der Osterbotschaft durch die Frauen zumindest einen anstößigen Schluss bildet. Andererseits steht dieser Markusschluss in der Kontinuität der „Geheimnistheorie“ und verstärkt noch einmal die Konzentration auf das Kreuz. Mit dem Bekenntnis des Centurio (15,39) und dem Verweis auf die Auferstehung (14,28; 16,6), die in der Verklärung bereits vorweggenommen wurde (9,9), ist für den Evangelisten bereits alles gesagt. Ostergeschichten, die er offensichtlich kennt (16,7), könnten dem nichts mehr hinzufügen. Zugleich sind das Schweigen und die Furcht der Frauen aber auch als eine letzte Mahnung an die Leser zu verstehen, Jesus nicht zu missdeuten. Selbst die Auferstehung kann noch missverstanden werden. Markus warnt vielleicht nicht zufällig in 13,22 vor „Pseudochristussen“ und „Pseudopropheten“, die die triumphierende Parusie des Menschensohnes aufgrund äußerer Zeichen ankündigen.