Was ist überraschender an dieser Kreuzigungsszene des koreanischen Künstlers Unbo: dass sie uns fremd vorkommt, oder dass sie uns viel zu bekannt vorkommt? Überrascht das Exotische oder das Vertraute?
Seit dem 16. Jh. und den Jesuitenmissionen in China wird über die Inkulturation des Christentums im Fernen Osten nachgedacht – wie lassen sich die Codes einer mediterranen Religion in der Kultur des Fernen Ostens ausdrücken? Je nach Zeit und Herkunft der Missionare hat das unterschiedliche und gegensätzliche Antworten hervorgebracht. Die ältesten künstlerischen Werke strebten eine vollständige Inkulturation an, so dass also ein westliches Auge manchmal nicht mehr zwischen einem christlichen Werk und einem Werk der lokalen Religion unterscheiden konnte. Die zweite Missionswelle des 19. Jh. tendierte dagegen zu einer Art Mittelweg, bei dem die im Westen herkömmliche Ikonografie nicht tiefgreifend verändert wurde. Nur die Techniken und einige formale Details (von denen die Kleidung das offensichtlichste ist) wurden angepasst. Das Merkwürdige daran ist, dass es oft Menschen aus dem Westen waren, die an der Inkulturation ihrer eigenen westlichen Bilder in den östlichen Kontext arbeiteten, während Menschen des Ostens eine begrenzt inkulturierte Umsetzung bevorzugten. Es scheint, als hätten sie die radikale Fremdheit des Christentums bewahren und es nicht an die Ausdrucksformen der lokalen Religionen angleichen wollen. Eigentlich sollte uns das nicht überraschen, denn das westliche Christentum hat dasselbe getan. Auch wenn wir viele Werke anführen können, die die Kleidung und Ausstattung der Zeit des Künstlers zeigen, bildete oft ein willkürliches, imaginiertes „Heiliges Land“ das Setting. Warum können wir uns bis heute die biblischen Gestalten nur in einem weiten Gewand und einem andersfarbigen Mantel vorstellen, der durch einen Gürtel zusammengehalten wird? Auch in Europa finden wir die gleichen widersprüchlichen Bestrebungen nach Vertrautheit und Fremdheit.
Der Künstler
Kim Ki-chang, genannt Unbo (1914–2001) war ein berühmter koreanischer Künstler, der seinen Stil ständig veränderte. Seit dem siebten Lebensjahr war er gehörlos. Ausgebildet in klassischer koreanischer und japanischer Malerei (Nihonga), übernahm er in den 1950er-Jahren westliche Techniken und schuf in den 1960er-Jahren eine Reihe von surrealistischen Werken. Seit 1963 fanden weltweit Ausstellungen mit seinen Werken statt. In den 1970er-Jahren kehrte er zu einer eher klassischen Kunstform zurück, die Kalligrafie und chinesische Tuschezeichnungen und traditionelle Themen einschließt, und versuchte sich auch in abstrakter Kunst. Er selbst bezeichnete sich als tief gläubig und hat einen Zyklus des Lebens Jesu in 30 Malereien geschaffen. Bekannt ist er für seine modernen Interpretationen von Landschaften und volkstümlichen Motiven, die er oft mit energischen Pinselstrichen aus Tusche auf Papier wiedergab.
Der historische Kontext
Die Einführung des Christentums in Korea ist einzigartig in der Geschichte der Verbreitung dieser Religion. Sie geht nicht auf Missionare zurück, sondern der Weg wurde bereitet durch die Sozialreformbewegung Silhak. Deren Gelehrte studierten Werke von Jesuiten, die im 18. Jh. in China veröffentlicht wurden. Daraufhin entwarfen sie neue gesellschaftliche Konzepte, die christlichen Idealen der Gleichheit aller Menschen nahestanden. Es waren also einheimische Gelehrte, die das Christentum brachten und um die sich erste christliche Gruppen sammelten. Nach einer Phase von Verfolgungen lag die Evangelisierung Koreas ab 1831 in den Händen der „Pariser Mission“, einer katholischen Gesellschaft, die Priester entsandte. Die Anwesenheit von Christen blieb bis Mitte des 20. Jh. unauffällig, trotz der Ankunft amerikanischer und britischer protestantischer Missionare (Presbyterianer und Methodisten). Nach dem Zweiten Weltkrieg breitete sich das Christentum in Südkorea sowohl auf protestantischer (insbesondere evangelikaler) als auch auf katholischer Seite rasch aus, so dass es heute vor dem Buddhismus die am stärksten vertretene Religion des Landes ist. Drei der letzten Präsidenten der Republik Korea waren Christen, darunter der Katholik Kim Dae-jung (1998–2003), der Presbyterianer Lee Myung-bak (2008–2013) und der aktuelle Präsident, der Katholik Moon Jae-in (seit 2017).
Die Geschichte des Motivs
Die Kreuzigung, die am meisten dargestellte Szene der Biografie Jesu, hat im Laufe der Geschichte viele Formen erhalten. Das Modell, das Unbo hier nachahmt, wird von François Boespflug und Emanuela Fogliadini als crowded crucifixion bezeichnet. Diese Darstellungsweise, die am Ende des 13. Jh. entstand, war im 14. und 16. Jh. sehr beliebt. Neben Maria und Johannes, die bereits in der byzantinischen Kunst am Fuße des Kreuzes zu sehen waren, sind hier die beiden Schächer, heilige Frauen, Jünger, Henker, römische Soldaten zu Fuß oder zu Pferd, Vertreter der jüdischen Behörden und vor allem eine große Zahl von Schaulustigen zu sehen. Giotto schuf in der Scrovegni-Kapelle (1305) eines der ersten Fresken nach diesem Modell. Zu dieser Zeit gab es nur einige wenige Anwesende, aber sie wurden bald vervielfacht, um alle Wände zu bedecken, wie in Santa Maria Novella in Florenz (Andrea di Bonaiuto, 1365). Auch die flämische und deutsche Kunst blieben von dieser Mode nicht verschont, und wir wissen von Kalvarienbergen, die von einer bunten Gesellschaft bevölkert wurden, die sich dabei oft in Anekdoten verlor. Die geschnitzten Holzaltäre verstärken dieses Gefühl der Fülle, da einige von ihnen bis zu hundert mit erstaunlicher Präzision gefertigte Figuren enthalten.
1. Eine Kreuzigung in westlichen Codes
Während die Landschaft und die Anwesenden eher an die koreanische Kultur angepasst sind, übernimmt die Kreuzigung fast alle westlichen Codes: drei Hochkreuze, darunter das Christus-Kreuz in der Mitte, leicht nach vorne geneigt; eine Lanze, die sich dem Körper Jesu nähert; in Leinen gekleidete Figuren; das rein westliche Zeichen des Heiligenscheins in Form einer Scheibe hinter Jesu Haupt als Zeichen der Heiligkeit. Unbo hat sogar das Suppedaneum, den stützenden Holzsteg unter Jesu Füßen, der im 7. Jh. in der abendländischen Kunst auftaucht, eingezeichnet und beachtet damit die Tradition, dass Christus angenagelt ist, während die beiden Mitgekreuzigten gefesselt sind. Nur die Identifizierung des bösen Schächers folgt asiatischen Codes: Mit seinem zotteligen Bart, dem dicken Bauch und dem spärlichen Haar ähnelt er von Karikaturisten bevorzugten grotesken Figuren.
2. Chinesische Landschaftskunst
Es ist interessant, dass dieses Werk „Kalvarienberg“ und nicht „Kreuzigung“ heißt. In Anlehnung an die chinesische Landschaftskunst wird der Ort zu einem grundlegenden Element der Komposition. Sie ist nicht realistisch, sondern weckt Empfindungen und Gedanken, indem sie einer Reihe präziser Regeln gehorcht. Eine davon ist, den Bergen, den Felsen und der Natur eine wichtige Rolle einzuräumen. So wird die Szene von einer Kette fein geschnittener Berge begrenzt, die den Blick von links nach rechts oder von rechts nach links zu Christus führen. Dies ist auch der Grund, warum die rechte Seite des Bildes von einem üppigen Pflanzenvor dergrund eingenommen wird; ein Baum mit knorrigen Ästen schließt das Bild ab und umschreibt ein Zentrum. Eine zweite Regel besteht darin, dem Auge einen Weg zu bahnen, entweder durch einen Fluss oder einen gewundenen Pfad. Der Maler ist hier innovativ: Die Figurenreihe, die in einer wellenförmigen und kompakten Masse dargestellt ist, suggeriert dem Auge, um den Kalvarienberg herumzugehen, um das Kreuz Christi zu erreichen. Diese beiden Regeln erlauben es Unbo, die dritte Regel einzuhalten: den Nukleus des Bildes abzugrenzen, in dem die eigentliche Bedeutung des Werkes liegt. Hier ist es Christus, der gesehen werden muss. Als helle, strahlende Fläche in der Dunkelheit scheint er die ganze Szene zu erleuchten, einschließlich des Berges, der im Vordergrund liegt: Er steht im Kontrast zu den anderen, im Schatten liegenden Eminenzen. Diese traditionelle Landschaftskunst wird Shan shui genannt, wörtlich „Bergwasser“. Während die Berge vorhanden sind, fehlt aber das fast unverzichtbare Wasser-Element. Es ist besonders bezeichnend, dass Unbo es durch die Schar der Anwesenden ersetzt hat, die an einen menschlichen Fluss erinnert.
3. Eine Menschenmenge in Hanbok
Das auffälligste Detail ist natürlich, dass alle Bediensteten Hanbok tragen, die traditionelle koreanische Tracht, die aus der Joseon-Dynastie (1392–1910) übernommen wurde. Die Frauen tragen eine farbige Bluse (jeogori), die mit einem Rock (chima) kombiniert wird, der durch einen Gürtel zusammengehalten wird. Sie stellen ihr kunstvoll gestaltetes Haar zur Schau. Die Männer haben einen farbigen Mantel, den Durumagi, über eine helle Hose, den Baji, angezogen. Sie tragen einen breitkrempigen Hut aus Rosshaar, den Gat, der ihren Dutt zeigt. Im Gegensatz zu den Chinesen, die häufig leuchtende Farben bevorzugen, zeichnen sich die Koreaner durch ihre Vorliebe für Pastellfarben aus (Altrosa, Wassergrün, Ecru usw.). Die Soldaten sind durch ihren runden Kopfschmuck mit rotem Band und Pompon, den Beonggeoji, erkennbar. Eine Figur sticht hervor: Es ist die Frau, die am Fuß des Kreuzes steht und ein weißes Kleid und einen sehr langen grünen Schleier trägt. Ist es die Mutter Maria, die der Maler auf diese Weise individualisieren will?
4. Der sitzende Mandarin
Der Anführer der römischen Garde, der für die Hinrichtung verantwortlich war, wird in der westlichen Kunst häufig zu Pferd dar gestellt. Das ist in Korea undenkbar, wo die Würde von Amtsträgern verlangt, dass sie sitzen. Unbo hat deshalb einen Mandarin mit einer weiten Tunika und weiten Ärmeln gemalt, auf die das bunte Abzeichen seines Amtes gestickt ist. Er trägt eine geflügelte Mütze (wushamao), der Amtstracht der chinesischen Ming-Dynastie (1368–1644) nach empfunden, die alle königlichen Beamten besaßen. Er ist von Standarten und Spießen umgeben, die signalisieren, dass diese Hinrichtung legal ist.
[Von Régis Burnet, Professor für Neues Testament an der Universität Louvain la-Neuve (Belgien)]