Die Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben
Thesen zum Bibelverständnis von Prof. Dr. Siegfried Zimmer
Wir Christen stürzen uns oft zu schnell auf die vorhandenen Unterschiede im Bibelverständnis und grenzen uns voneinander ab. Dabei unterschätzen wir aber leider die Einigkeit, die es unter uns gibt. Die folgenden zwölf Aussagen über die Bibel sind innerhalb der (evangelischen) Christenheit im hohen Maß konsensfähig. Insofern fördern sie die vertrauensvolle Gemeinschaft und Zusammenarbeit zwischen den Christen und christlichen Gruppierungen. Nur wenn man weiß, worin man sich einig ist, kann man sich sinnvoll und produktiv über die Unterschiede unterhalten.
1. Wir Christen wissen alles Wichtige über Gott bzw. Jesus Christus nur aus der Bibel. Es gibt keine andere schriftliche oder mündliche Quelle, die uns auch nur annähernd einen solchen Zugang zu Gott bzw. zu Jesus Christus eröffnen kann. Das bedeutet: Wir können unser Gottesverständnis und unser Jesusverständnis nur aus der Bibel gewinnen. Insofern gibt es zur Bibel keine Alternative und für sie keinen Ersatz.
2. Gott redet durch die Bibel zu uns Menschen, zu unserem Herz und Gewissen. Das lehrt die Erfahrung aus vielen Jahrhunderten. Wenn das nicht so wäre, würde der christliche Glaube zusammenbrechen, zumindest wäre er auf das Schwerste gefährdet. Gottes Reden durch die Bibel ist stets ein Offenbarungsvorgang. Gott offenbart sich also durch die Bibel. Das bedeutet: Wir können in der Bibel Gott begegnen und durch die Bibel zu ihm finden. Gott redet nicht direkt durch die Bibel zu uns, sondern vermittelt durch den Bibeltext.
3. Gott schenkt uns durch die Bibel den Glauben und den Heiligen Geist. Er lehrt uns auch durch die Bibel alles, was zu unserem Heil, d.h. für unsere Gemeinschaft mit Gott, wichtig ist.
4. Das Wort der Bibel ist ein wirksames (schaffendes, schöpferisches) Wort. Es ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert und ist ein Hammer, der Felsen zerschmettert. Das biblische Wort kommt nicht leer zu Gott zurück, sondern wirkt das, wozu Gott es sendet. Auf diese Wirkungen des biblischen Wortes kommt es entscheidend an. Von diesen Wirkungen leben wir Christen alle gleicherweise. Wir sind auf sie angewiesen. Wir sind Bittende und Empfangende. Das eint uns. Was würde uns eine Bibel nützen, von der keine Wirkungen ausgehen? Das biblische Wort kann in uns Menschen und in Menschengruppen tiefste Veränderungen zum Guten bewirken.
5. Über die Wirkungen des biblischen Wortes entscheiden nicht wir, sondern der Heilige Geist allein. Laut Martin Luther wirkt Gott durch die Bibel ubi, quando et quos, also wo, wann und an wem Gott will. Das bedeutet: Wir bekommen mit Hilfe der Bibel keine Macht über Gott. Gott wirkt nicht automatisch, sobald wir die Bibel aufschlagen. Wir haben allerdings die Verheißung, dass Gott zu uns durch die Bibel sprechen wird. Eine Verheißung ist aber kein Automatismus.
6. Die geistliche Orientierungskraft der Bibel reicht weit über das hinaus, was Menschen aus eigener Kraft über Gott erkennen können, d.h. weit über das hinaus, was wir über Gott durch die Vernunft, die Wissenschaft, die Erfahrung und andere Möglichkeiten erkennen können. Die zwei entscheidenden Fragen über Gott lauten: „Wer ist Gott?“ und „Wie kann man in Gemeinschaft mit Gott kommen?“ Zu diesen beiden entscheidenden Fragen kann die Vernunft und die Wissenschaft von sich aus – ohne die biblische Offenbarung – nichts beitragen.
7. In allen heilswichtigen Dingen ist die geistliche Orientierungskraft der Bibel völlig zuverlässig. Wir brauchen nicht die Sorge zu haben, dass Gott uns durch die Bibel in die Irre führt oder „zu m Narren hält“.
8. Die Bibel ist in geistlichen Dingen die höchste Autorität auf Erden. Ihre geistliche Autorität steht über der Vernunft, der Philosophie, der Wissenschaft, der Psychologie bzw. Therapie, über allen politischen Theorien und Ideologien. Sie steht auch über der Kirche und allen kirchlichen Ämtern. Wir alle stehen unter der Autorität des biblischen Wortes. Die Kirche bzw. die Christen dürfen nichts lehren, was der biblischen Botschaft widerspricht oder überhaupt nicht in der biblischen Botschaft enthalten ist.
9. Nach Sicht des christlichen Glaubens hat Gott zur Bibel ein besonderes Verhältnis. Die Bibel ist sein bevorzugtes Werkzeug. Der Heilige Geist wirkt nirgendwo kräftiger als durch die Bibel. Zwischen Gott und der Bibel besteht eine Wirkungseinheit. Diese Wirkungseinheit gründet in Gott. Sie ist keine (irdische) „Tatsache“, sondern ein Wunder. Gerade deshalb können wir uns auf diese Wirkungseinheit uneingeschränkt verlassen.
10. Fazit: Alles was Gott durch die Bibel erreichen will, das erreicht er auch. Das ist die höchste Aussage, die man über die Bibel machen kann. Man kann diese Aussage nicht verbessern und nicht steigern. Gott hat unerschöpfliche Möglichkeiten durch die Bibel zu wirken. Er kennt die Zeiten und Gelegenheiten und er versäumt sie nicht. Das macht unser Herz gewiss, zuversichtlich und fröhlich.
11. Aufgrund der Aussagen in Punkt 1-10 können wir Christen sagen: Die Bibel ist Gottes Wort. Mit diesem mehrdeutigen Satz ist das gemeint, was in den Punkten 1-10 zum Ausdruck gebracht wird. Der Satz „Die Bibel ist Gottes Wort“ ist nicht wörtlich zu verstehen. Die Gebete in den Psalmen z.B. sind ja Worte von Menschen zu Gott. Sie können nicht gleichzeitig in direktem Sinn „Gottes Wort“ an Menschen sein. In den prophetischen Schriften und in der Thora heißt es oft ausdrücklich „so spricht Jahwe“ bzw. „und Jahwe sprach“. Durch diese Einleitungsformulierungen werden bestimmte Texte innerhalb der Bibel besonders hervorgehoben. Diese Hervorhebungen dürfen nicht verwischt oder als unwichtig hingestellt werden, auch nicht durch den Satz „Die Bibel ist Gottes Wort“. Außerdem redet ja Gott durch die Bibel nicht im direkten Sinn zu uns, sondern vermittelt durch den Bibeltext.
12. Wir Christen lesen die Bibel von Jesus her und auf Jesus hin. Er ist unser Schlüssel zur Bibel. Unser Bibellesen ist ein Akt der Nachfolge Jesu. Er ist unser Herr. Er selbst ist „Gottes Wort“ in einem einzigartigen Sinn.
Conclusio: Christen sollten auf dieser Grundlage vertrauensvoll miteinander leben und zusammenarbeiten. Diese Grundlage eignet sich gut dafür, Feindbilder abzubauen und Grabenkämpfe (Lagerdenken) zu überwinden.