Über siebzigmal wird der Libanon im Alten Testament erwähnt. Seine Berge und Flüsse waren eine unerschöpfliche Quelle für Bilder einer paradiesischen Sehnsucht. Aber der Libanon bot vor allem Zedernholz für den Bau von Palästen, Schiffen und Tempeln.
Zwar existiert der Libanon als Staat erst seit 1920, doch sein Name ist seit dem 3. Jahrtausend v.Chr. in sumerischen, akkadischen, ägyptischen, assyrischen und neobabylonischen Inschriften belegt. In diesen Inschriften bezeichnet der Name Libanon das waldreiche Gebirge, an dessen Hängen und auf dessen Höhen die Zeder thront. Die Texte des Alten Testaments widmen dem Libanon außergewöhnliche Erzählungen, sodass er mehr als siebzigmal vorkommt. Dort werden auch verschiedene Küstenstädte erwähnt, die von den Phöniziern, einem Zweig der Kanaanäer bewohnt wurden. Auch Phönizien war kein richtiges Land oder Staat, sondern eher eine Ansammlung unabhängiger und konkurrierender Stadtstaaten, die unter sich die Küstenebene bis zum Berg Karmel aufteilten und sich nur manchmal zusammenschlossen. Wenn die Bibel von den Phöniziern spricht, meint sie daher vor allem die Bewohner von Tyrus oder Sidon, gelegentlich auch von Jbeil (Byblos), Arwad, Sarepta und Tripolis – auf jeden Fall aber ein vielgestaltiges Volk, das unter anderem in der Produktion und im Handel hochbegabt war. Als berühmte Seefahrer versorgten die Phönizier ihre Nachbarn mit wertvollen Gegenständen, importiert aus Ländern von den Grenzen der Erde, wie Hes 27,1-36 beschreibt: aus Baschan, von den Inseln der Kittäer, aus Ägpyten, von den Küsten Elischas, Tarschisch, Bet-Togarma, Dedan, Helbon, Zahar, Usal, Arabien, Kedar, Saba, Ragma, Assur, Kilmad, aus Juda und dem Land Israel …
Die außergewöhnlichen Handwerker des Libanon
Die biblische Überlieferung erzählt, dass König David König Hiram von Tyrus um Hilfe beim Bau seines Palastes bat. David war offensichtlich nicht davon überzeugt, dass seine Untertanen die Kunst der Architektur und der Steinarbeiten ausreichend beherrschten. Hiram schickt daraufhin eine große Menge Zedernholz mitsamt Zimmerleuten und Steinmetzen los, um den Auftrag auszuführen (2.Sam 5,11/1.Chr 14,1). Der begeisterte David verkündet dem Propheten Natan: „Ich wohne in einem Haus aus Zedernholz“, und bedauert, dass „die Bundeslade des HERRN aber in einem Zelt steht“ (1.Chr 17,1).
Als Salomo seinem Vater auf den Königsthron folgt, will er nun bauen, was David nicht zu bauen vermocht hatte: einen Tempel „für den Namen des Herrn“ – und eine königliche Residenz. Salomo wiederholt die Bitte an Hiram, ihm Material und Fachwissen zu schicken. Wie 1.Kön 5 und parallel 2.Chr 2 erzählen, wurde eine ungeheure Menge Zedernholz von den Gipfeln des Libanon bis an das Ufer von Jaffa transportiert. 10.000 Mann habe Salomo jeden Monat zum Holz schlagen und Steine brechen auf den Libanon geschickt, dazu – nach 1.Kön 5,29 – 70.000 Lastträger und 80.000 Steinhauer. Sieben Jahre lang arbeiteten die Tyrer demnach mit ihrem ganzen Können am Tempelbau in Jerusalem: Architekten, Goldschmiede, Bildhauer, Maurer und Steinmetze teilten sich die Arbeit. Die Dekoration, von der erzählt wird, war teilweise von kanaanäischen Motiven inspiriert (Flechtwerk, Lotusblüten, Granatäpfel, Kränze, Bilder von Löwen, Rindern und Kerubim). Folglich waren die Menschen, die „das Haus des Herrn“ in Jerusalem bauten und dekorierten, bemerkenswerterweise Anbeter des Baal und der Astarte!
Diese Arbeiter und Künstler errichteten auch 13 Jahre lang die große königliche Palastanlage, einschließlich einer großen Halle, die so reich an Zedernsäulen war, dass sie als „das Libanonwaldhaus“ bezeichnet wurde (1. Kön 7,1-12). Auch die Möbel waren aus Zedern-, Zypressen- und Wacholderholz gefertigt und mit Gold, Silber und Bronze veredelt. Außerdem bauten König Hirams Arbeiter der Bibel zufolge auch die Flotte Salomos, die unter der Leitung tyrischer Offiziere, geübter Seefahrer, Seeexpeditionen rund um die arabische Küste und Ostafrika unternahm: „Sie fuhren nach Ofir, holten von dort vierhundertzwanzig Talente Gold und brachten es dem König Salomo“ (1.Kön 9,28). Das Hohelied erzählt von einer königlichen Sänfte aus dem Holz der Zeder, auf der der weise Salomo in seiner Pracht zu sehen ist (Hld 3,9). Schließlich nahm Serubbabel nach seiner Rückkehr aus dem Babylonischen Exil im Jahr 538 v.Chr. den Neubau des Tempels erneut mithilfe der Tyrer und Sidonier in Angriff, wobei er das gleiche Holz der Zeder aus dem Libanon verwendete (Esra 3,7).
Verbotene religiöse Einflüsse
Die geografische Nähe und die engen Handelsbeziehungen brachten den Kult der Gottheiten von Tyrus und Sidon unweigerlich zu den Israeliten. In der rückschauenden biblischen Erzählung gefiel das dem Gott Israels gar nicht: „Als sie den HERRN verließen und dem Baal und den Astarten dienten, entbrannte der Zorn des HERRN gegen Israel“ (Ri 2,13-14). Salomo wird besonders vorgeworfen, dass er Tempel und Höhenheiligtümer für „Astarte, die Göttin der Sidoner“, und andere Fremdgötter errichten ließ (1.Kön 11,5-8), von denen noch zur Zeit Josias Überreste existierten (2.Kön 23,13). Isebel, die Tochter des Königs Etbaal von Sidon, heiratete Ahab, König von Israel, dessen Regierungszeit ins 9. Jh. v. Chr. datiert wird: „Er diente dem Baal und warf sich vor ihm nieder“ (1.Kön 16,31). Wir erfahren auch, dass ihr Sohn Ahasja dasselbe tut (1.Kön 22,53- 54). Gleichzeitig widmen Elija und Elischa ihr Leben dem Kampf gegen den Götzendienst und treten in den Kampf gegen die 450 Propheten des Baal und die 400 Propheten der Astarte, mit denen Ahab „Israel ins Verderben gestürzt“ habe (1.Kön 18).
Das libanesische Gebirge
Das Alte Testament spiegelt eine außergewöhnliche Verbindung zum Libanongebirge. Es unterscheidet nur selten zwischen der westlichen Bergkette, dem Libanon, und der östlichen, dem Antilibanon. Tatsächlich wird der Berg Hermon, der südliche Endpunkt des Antilibanon, in den biblischen Texten oft als Libanon bezeichnet. Das BekaaTal, das die beiden Gebirgsketten voneinander trennt, wird „Libanonsenke“ genannt (Jos 11,17). Der Berg Hermon wird als „Libanon gegen Sonnenaufgang“ (Jos 13,5) bezeichnet, da er die nördlichen Grenzen des „Gelobten Landes“ überragte und mit seinen schneebedeckten und lichtdurchfluteten Erhebungen die Menschen in der Umgebung verzauberte. Vielleicht war es der Gedanke an den Berg Hermon, mit dem Mose an der Schwelle seines Todes seinen Gott voller Sehnsucht bittet: „Lass mich doch hinüberziehen! Lass mich das prächtige Land jenseits des Jordan sehen, dieses prächtige Bergland und den Libanon!“ (Dtn 3,24-25). Tatsächlich nutzt die Bibel den Libanon als unerschöpfliche Quelle für metaphorische Bilder; sie malt ihn als gesegneten Vorratsraum natürlicher Reichtümer und besingt seine Pracht. Jeder Bezug auf den Libanon ist ein Lobpreis auf Schönheit, Fruchtbarkeit und Üppigkeit – in seinem beständigen Schnee (Jer 18,14), im besonderen Duft seiner harzigen Nadelbäume (Hos 14,7), in der Fülle seiner Wälder und seines Wassers (Jes 40,16; Hld 4,15; Jer 18,14), im aromatischen Charakter seiner Blumen (Nahum 1,4), in der Wildheit seiner wilden Tiere (2.Chr 25,18), in der hervorragenden Qualität seines Weins (Hos 14,8) und in seiner Eigenschaft als idealer Zufluchtsort für Auswanderer (Ps 42,7).
Die Zedern des Libanon sind ein Symbol für Unvergänglichkeit, Festigkeit, Unversehrtheit, Weisheit, Pracht, Macht und Edelmut. In der Jotamfabel oder Baumfabel werden sie als „Könige der Wälder“ gedeutet (Ri 9,8-15). Kurz gesagt: jeder gerechte Mensch „sprießt wie die Palme, er wächst wie die Zeder des Libanon" (Ps 92,13). Der Gedanke dahinter ist, dass der Libanon in der Bibel so etwas wie das Vorbild vom Garten Eden in der Schöpfungserzählung ist, nicht zuletzt wegen des reichlichen Wassers vom Berg Hermon, das den Jordan speist (Ps 42,7), und der Zedern, die Gott selbst gepflanzt hat (Ps 104,16; Ez 31,7-8). Daher nehmen „die Berge und alle Zedern“ auch am jubelnden, kosmischen Lobpreis teil und werfen sich mit ihrer ganzen Höhe vor der Majestät des Herrn nieder („Lobt den HERRN, … ihr Berge und all ihr Hügel, ihr Fruchtbäume und alle Zedern“, Ps 148,9). Nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil beschreibt das Jesajabuch, dass die Erneuerung Israels vor allem in der Wüste sichtbar wird, die sich mit Zedern, Akazien, Myrten und Olivenbäumen füllt: „In der Wüste pflanze ich Zedern, Akazien, Ölbäume und Myrten. In der Steppe setze ich Zypressen, Platanen und auch Eschen, damit alle sehen und erkennen, begreifen und verstehen, dass die Hand des HERRN dies gemacht hat, dass der Heilige Israels es erschaffen hat“ (Jes 41,19). So wird die Zeder sogar zum Symbol für das Haus David und den erwarteten Messias (Hes 17,22-23) und Gott seinerseits beschützt die Zeder vor den Invasoren (Jes 14,8; 29,17). Auch der göttliche Zorn drückt sich in den Bergen und den Bäumen aus: „Die Stimme des HERRN bricht Zedern, der HERR hat zerbrochen die Zedern des Libanon. Er ließ den Libanon hüpfen wie einen Jungstier, wie einen Wildstier den Sirjon“ (Ps 29,5).
Der Libanon im Hohelied
Kaum verwunderlich, dass auch das Hohelied tief verwoben ist mit den Bildern des Libanon. Die Verse, in denen er erwähnt wird, werden von vielen Exegeten als „Lieder des Libanon“ bezeichnet, die vermutlich eine Reminiszenz an den kanaanäischen Mythos von Adonis und Astarte sind: „Mit mir vom Libanon, Braut, mit mir kommst du vom Libanon, vom Gipfel des Amana steigst du herab, vom Gipfel des Senir und des Hermon, von den Lagern der Löwen, von den Bergen der Panther“ (Hld 4,8). Dieses lange Gedicht, das sowohl von mystischer Symbolik als auch von Sinnlichkeit geprägt ist, nähert sich dem Libanon als Heimat der Geliebten. Der Geruch ihrer Kleidung wird mit dem Duft des Libanon verglichen und ihre Nase mit einem „Libanon-Turm, der gegen Damaskus schaut“. Und: „Die Quelle des Gartens bist du, ein Brunnen lebendigen Wassers, das vom Libanon fließt“ (4,15). Die Frau beschreibt ihren Freund und Geliebten so, dass seine Gestalt „wie der Libanon ist, erlesen wie Zedern“ (5,15).
Traditionen schaffen ein kleines Universum
Viele biblische Gestalten erhalten ihre Traditionen im Libanon. Der Prophet Elija zum Beispiel, der die Priester des Baal und der Astarte vernichtet haben soll, gehört zu den am meisten verehrten Heiligen im Libanon und wird in der Ikonografie dargestellt, wie er heldenhaft sein Massaker an den Baalspriestern vollzieht. Die libanesischen Legenden schreiben auch Salomo den Bau eines Tempels in Baalbek und Noach die erste Anpflanzung von Weinreben im Antilibanon zu, wobei Noachs rettende Arche aus libanesischem Holz gebaut worden sein soll. Libanesische Legenden betrachten den Hermon als den Berg der Verklärung – und sehen im hochgebirgigen Zedernwald von Bischarri den Ort, an dem sich Gott dem Mose zeigte. Im Gedenken daran wird jährlich am Vorabend des 6. August ein Gottesdienst gefeiert. Oder das heutige Dorf Ehden: Es trägt im Namen das biblische Eden.
Zudem haben sich im Libanon viele alte Traditionen in Landwirtschaft, Weidewirtschaft, Wandertierhaltung, kulinarischen und sozialen Bräuchen erhalten, die ein Nachklang der Völker aus biblischer Zeit sind. Im Gebirge sind mehrere Dorfnamen und verschiedene Heiligtümer nach Persönlichkeiten aus dem Alten Testament oder in Verbindung mit ihnen benannt (Noach, Elija, Oholiab aus dem Exodusbuch) und Namen von biblischen Gestalten werden dort bis heute vergeben (Mose, Abraham, Hiob). Schließlich wurde die Zeder, die in der Bibel und später in der christlichen Buchtradition sehr präsent ist, während des französischen Mandats (1920–1943) in der Mitte der französischen Flagge hinzugefügt, bevor sie ab 1943 zum verbindenden Emblem im Zentrum der libanesischen Nationalflagge wurde. So hat die Bibel in den mächtigen Libanonbergen und kraftvollen Zedern viele Inspirationen und Bilder gefunden, mit denen sie Göttliches und Menschliches ausdrücken konnte!
[Prof. Fr. Joseph Moukarzel lehrt als Historiker an der Université SaintEsprit de Kaslik (USEK) in Jounieh]