Katholisch aber auch orientalisch, frankophil und arabisch – und die größte Kirche des Libanon … über die Maronitische Kirche sind oft nur grobe Züge bekannt. Ihre Identität zwischen Ost und West gründet in einer facettenreichen Vergangenheit.
Hoch über der Bucht von Jounieh thront die Residenz des maronitischen Patriarchen. Der schlossartige Konvent von Bkerke dient dem Kirchenoberhaupt seit 1830 als Amtssitz. Im Giebel über dem Hauptportal ist das Wappen des Patriarchats in Stein gemeißelt. Es trägt die Umschrift: Gloria Libani data est ei. Der Wappenspruch stammt aus Jesaja 35,2 und bedeutet: „Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben.“ Es sagt viel über das Selbstbewusstsein der Maronitischen Kirche, dass sie diesen Spruch auf sich bezieht. Wie keine andere Kirche fühlt sie sich mit dem Land verbunden. Die übrigen im Libanon vertretenen Kirchen haben ihre Zentrale und die Mehrheit ihrer Gläubigen meist im Ausland. Anders die Maroniten, deren Patriarch hier residiert und deren Siedlungsgebiet traditionell nur hier lag. Lediglich eine kleine Diaspora existierte seit dem 14. Jh. auf Zypern. Erst seit dem aus gehenden 20. Jh. ist die Maronitische Kirche, wie das nahöstliche Christentum insgesamt, von einer dauernden Auswanderung in den Westen betroffen. Heute gibt es maronitische Bistümer und Gemeinden in allen Erdteilen. Sie werden zusammengehalten durch die Sehnsucht nach dem Libanon, seinen Landschaften und Heiligtümern, die in der Diaspora als imaginierte geistliche Heimat fortbestehen. Als Oberhaupt der zahlenmäßig größten Kirche tritt der Patriarch in der vertrackten libanesischen Politik nicht nur als Sprecher der Christen auf, sondern auch als Anwalt der staatlichen Souveränität. Es war ein maronitischer Patriarch, Elias Hoyek, der maßgeblich dafür verantwortlich war, dass Frankreich 1920 den „Großlibanon“ als eigenen Staat innerhalb seines Mandatsgebietes errichtete. Bis heute besteht unter den Maroniten die Tendenz, den libanesischen Staat als “ihre” Schöpfung zu betrachten.
Die Anfänge in christologischen Turbulenzen
Die enge ideelle Verbindung von Kirche und Land erklärt sich aus der Geschichte. Dabei liegt der „Geburtsort“ der Maronitischen Kirche gar nicht im Libanon, sondern in einem Kloster im nördlichen Syrien. Dort wurde der heilige Maron verehrt, ein strenger Asket, der um 410 verstorben war. In den dogmatischen Turbulenzen des 7. Jh. hatte die Mönchsgemeinschaft einer christologischen Lehrform auch dann noch die Treue gehalten, nachdem diese auf dem Ökumenischen Konzil des Jahres 681 als Irrlehre verurteilt worden war. Verworfen wurde dabei die Anschauung, Christus habe nur einen Willen besessen („Monotheletismus“). Im Gefolge des hl. Maximus Confessor hielt das Konzil dagegen fest, Christus habe nicht nur mit einem göttlichen, sondern auch einem menschlichen Willen unsere Erlösung gewollt und bewirkt. Feindseligkeiten vonseiten anderer Christen wie auch die Bedrückung durch Muslime wer den der Grund dafür gewesen sein, dass die Mönche sich mit ihren Gefolgsleuten in die tief eingeschnittenen Bergtäler des Libanon zurückzogen. In dieser Zeit haben die Maroniten auch einen eigenen Patriarchen von Antiochien geweiht, da ihnen der griechische Amtsinhaber dieses Titels nicht länger als rechtmäßig erschien. Der Tradition zufolge wurde ein gewisser Johannes Maron um 680 im Maronkloster zum ersten Patriarchen gewählt. Später soll dieser Johannes Maron als Bischof in Batroun an der libanesischen Küste gewirkt haben, ehe er sich ins Gebirge zurückziehen musste. Dort soll er von den Bewohnern standhaft verteidigt worden sein. So verdichtet sich in seiner Vita die Wanderungsbewegung von der syrischen Ebene in den Zufluchtsort Libanon.
Vereint mit der lateinischen Kirche
Dem Westen bekannt werden die Maroniten dann im 12. Jh., als sie Kontakt zu den Kreuzfahrern aufnehmen. Die Kirchengemeinschaft mit Rom wurde erstmals 1181 erklärt, wobei die Maroniten dem Monotheletismus abschwören mussten. Auf dem IV. Laterankonzil 1215 befand sich der maronitische Patriarch Jeremia von Amschit unter den Teilnehmern. Im Gefolge von Trient verstärkten sich die Beziehungen zu Rom. Papst Gregor XIII. gründete 1584 in der Ewigen Stadt das maronitische Kolleg, aus dem zahlreiche Bischöfe und Gelehrte hervorgingen. Unter ihnen ragt Patriarch Stephan ad-Duwayhi hervor (1670–1704), der mit seinen historischen und theologischen Werken das Selbstbewusstsein seiner Kirche nachhaltig bestimmte. Die enge Rom-Bindung führte zu einer zu nehmenden Angleichung von Frömmigkeit, Kult und Disziplin an die lateinische Kirche. Von Hause aus folgte die Maronitische Kirche dem westsyrischen Ritus, wie ihn auch die syrisch-orthodoxe Kirche pflegt. Spätestens seit dem 18. Jh. war der Gottesdienst so weit latinisiert, dass man den zugrunde liegenden östlichen Ritus kaum mehr erkennen konnte. Im Geschichtsbild der maronitischen Theologen war ihre Kirche niemals vom römischen Stuhl getrennt. Lange Zeit hat man auch energisch bestritten, im ersten Jahrtausend vorübergehend einer Irrlehre gefolgt zu sein. Durch das II. Vatikanische Konzil ist es zu einer Neubesinnung auf die eigene syrische Gottesdiensttradition gekommen. Manche Reformen haben alte Traditionen wiederbelebt. Auch eine eigene, an alte syrische Malerei angelehnte Ikonografie hat sich entwickelt. Andererseits wurden in vielen Kirchen Volksaltäre auf gestellt, die nicht dem östlichen Herkommen entsprechen. Der Gottesdienst wird in arabischer Sprache gehalten, nur wenige zentrale Texte wer den in der alten syrisch-aramäischen Kirchensprache vorgetragen.
Woher kommt die besondere Beziehung zu Frankreich?
Neben Rom war in besonderer Weise Frankreich Bezugspunkt der Maroniten. Die französische Krone sah sich als Schutzmacht für die Katholiken im Osmanischen Reich – ein Rolle, die dann von der französischen Republik (aller Laizität zum Trotz) übernommen wurde. Französische Sprache und Bildung breiteten sich in der maronitischen Oberschicht aus. Manche maronitischen Politiker in der Zeit nach der Unabhängigkeit haben das Französische noch hörbar besser gesprochen als das Hocharabische. Auch die Frömmigkeit des französischen Katholizismus hat die Maroniten geprägt. Bis heute wird die hl. Theresia von Lisieux innig verehrt. Zum religiösen Aufschwung im 20. Jh. gehört dann aber auch die Heiligsprechung eigener Heiliger, allen voran des Mönches und Wundertäters Charbel. Typischer Ausdruck des französischen Katholizismus ist der Stil, in dem die riesige Marienfigur über der Bucht von Jounieh gestaltet ist. Sie trägt den Namen Notre Dame du Liban, wurde 1908 aufgestellt und dient heute als Wallfahrtsort für Christen und Muslime.
Die Maroniten und die anderen Glaubensgemeinschaften
Das Verhältnis der Maroniten zu anderen Religionsgruppen war nicht immer friedlich. Unter dem toleranten drusischen Emir Fakhr ad-Din Maan (1598–1635) zogen viele Maroniten in die südliche Gegend des Libanongebirges, die von Drusen bewohnt wurde. Dort verhießen der Baumwollanbau und Handel bessere Lebensbedingungen. Die zunehmende Präsenz der Maroniten führte Ende des 18. Jh. sogar zur Konversion einiger drusischer Adelsfamilien. Ökonomisch bedingte Spannungen schlugen sich 1845 in gewaltsamen Auseinandersetzungen nieder und gipfelten 1860 in brutalen Massakern an Maroniten und anderen Christen im Chouf-Gebirge. Von dort sprang der Funke auf die Bekaa-Ebene und Damaskus über, wo ein aufgehetzter Mob zahlreiche Christen tötete. Im Bürgerkrieg 1975 1990 war der Chouf wiederum Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Maroniten und Drusen. Nahezu alle Maroniten sind dabei vertrieben worden. Immerhin ist es in der Zeit nach 1990, dem Ende des Bürgerkriegs, zu bemerkenswerten Gesten der Versöhnung zwischen den beiden Religionsgruppen gekommen. Politisch gesehen waren die Maroniten die eigentlichen Verlierer des Bürgerkriegs. Ihre Vorrangstellung in der Gesellschaft haben sie eingebüßt. Gut lässt sich das am Amt des Staatspräsidenten ablesen: Zwar bleibt das höchste Amt im Staate nach wie vor einem Maroniten vorbehalten, doch hat der Präsident durch den Friedensschluss von 1990 viele seiner Kompetenzen verloren und spielt nicht mehr jene Rolle, die ihm bei der Staatsgründung zugedacht war. Überhaupt stellt sich die Frage, welche Rolle die zivilen Autoritäten in einem zerfallenden Staatsgebilde noch spielen, das zum Spielball innerer und äußerer Fremdinteressen geworden ist. Wer in die Berge nördlich von Batroun fährt und die Klöster mit den Gräbern der großen Heiligen der Maronitischen Kirche aufsucht, steht vor Schreinen, die aus Zedernholz gefertigt sind und die neben dem Kreuz oft auch das Nationalsymbol der Zeder zeigen. Wer nach Bildern der Patriarchen sucht, stößt nicht nur auf Elias Hoyek, wie er 1920 mit dem sunnitischen Mufti neben dem französischen General Gouraud bei der Ausrufung des Großlibanon Pate steht. Von allen folgenden Patriarchen wird man Bilder finden, in denen der ranghöchste maronitische Geistliche im Élysée-Palast einem Staatsoberhaupt gleich empfangen wird. Wie ihre Vorgänger haben es Nicolas Sarkozy, François Hollande und Emmanuel Macron mit Seiner Seligkeit Beshara Boutros Kardinal Rai, seit 2011 maronitischer Patriarch von Antiochien, gehalten. In spiritueller Tiefe und in politischer Verantwortung bleibt die Maronitische Kirche im Libanon verwurzelt.
[Prof. Dr. Karl Pinggéra lehrt Kirchengeschichte an der Universität Marburg.]