Jom Kippur (יום כיפור \ יוֹם כִּפּוּר)‚ “Tag der Sühne”, ist der höchste jüdische Feiertag. Nach jüdischem Kalendersystem wird er am 10. Tag des Monats Tischri begangen – als strenger Ruhe- und Fastentag. Zusammen mit dem zehn Tage davor stattfindenden zweitägigen Neujahrsfest Rosch haSchana bildet er die Hohen Feiertage des Judentums und den Höhepunkt und Abschluss der zehn Tage der Reue und Umkehr. Jom Kippur wird von einer Mehrheit der Juden, auch nicht-religiösen, in mehr oder weniger strikter Form eingehalten.
Der in der Tora Jom haKippurim und Schabbat Schabbaton („Schabbat der Schabbate“) genannte Versöhnungstag geht gemäß moderner Exegese vermutlich auf die Zeit nach dem Babylonischen Exil zurück, trotz Parallelen zu hethitischen Ritualen, die auf ein höheres Alter hinweisen. Er war bereits in der früheren Zeit des zweiten Tempels der bedeutendste Feiertag der Israeliten. Die umfangreichste Darstellung dieses Feiertages findet sich im Levitikus (3. Buch Mose): „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimischer noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“ (Lev 16,29–30)
Sündenbock
Mit der Lutherübersetzung der christlichen Bibel ins Deutsche wurde der Begriff Sündenbock geprägt. Nach der traditionellen christlichen Deutung der Version der Geschichte (Lev 16,3–26) im Alten Testament werden dem Bock alle Sünden des Volkes in einer Symbolhandlung aufgeladen, der „Bock für Asasel“ wird als stellvertretender „Sündenbock“ gedeutet. Bis heute ist ein Sündenbock jemand, der von unbußfertigen Menschen für ihr eigenes Unheil, ihre Fehler und Sünden fälschlich beschuldigt und schließlich verantwortlich gemacht wird, und der manchmal beseitigt wird, obwohl das ursprüngliche Konzept ein Bekenntnis eigener Schuld und Reue von der Gemeinschaft verlangte. Asasel ein seltenes hebräisches Nebenwort, das „Entlassung“ oder „gänzliche Entfernung“ bedeutet. Es ist ein alter Ausdruck für die völlige Beseitigung von Sünde und Schuld der Gemeinschaft, die durch Fortsendung des Bockes in die Wildnis symbolisiert wurde.
Gegenwart
Jom Kippur ist der heiligste und feierlichste Tag des jüdischen Jahres. Jeder Festtag beginnt am Vorabend, denn im jüdischen Kalender dauert der Tag vom Vorabend bis zum Abend des Tages – nicht von 0 bis 24 Uhr. Der abendliche Beginn wird mit dem Wort Erev (ערב “Abend”) bezeichnet. Für Frauen ab 12 und Männer ab 13 Jahren ist er ein Fastentag, an dem 25 Stunden gefastet wird, das heißt, von kurz vor Sonnenuntergang des Vortags bis zum nächsten Sonnenuntergang wird weder flüssige noch feste Nahrung eingenommen. Auch Rauchen ist untersagt. Vor Beginn des Jom Kippur werden traditionell Kreplach gegessen, gefüllte Teigtaschen, ähnlich den italienischen Ravioli oder von vielen marokkanischen Sephardim der Eintopf Alboronia. Jom Kippur ist der einzige Fasttag, der auch an einem Schabbat begangen wird – die anderen Fasttage werden verschoben, sollten sie auf einen Schabbat fallen. Zu den an Schabbaten und allen Feiertagen geltenden Verboten kommt an Jom Kippur das der sexuellen Betätigung hinzu. Streng religiöse Juden tragen an Jom Kippur keine Lederschuhe und kleiden sich in Weiß.
In Israel sind an diesem Tag alle Restaurants und Cafés geschlossen (ausgenommen arabische). Das gesamte öffentliche Leben steht still. Alle Grenzübergänge (auch die Flughäfen) sind geschlossen. Obwohl es kein behördliches Fahrverbot gibt, sind die Straßen fast vollständig autofrei, nur Krankenwagen, Feuerwehr und Polizei verkehren. Säkulare Juden begannen in den letzten Jahrzehnten, diese Situation für Fahrradtouren auf den leeren Autobahnen zu nutzen. Es gilt als unhöflich, an diesem Tag in der Öffentlichkeit zu essen oder Musik zu hören. Es gibt weder Radio- noch Fernsehprogramme. Dass Israel an diesem Tag quasi gelähmt und extrem verwundbar war, nutzten Syrien und Ägypten im Oktober 1973 aus und begannen den Jom-Kippur-Krieg. Aufgrund dieser Erfahrung wird die militärische Einsatzfähigkeit an Jom Kippur voll aufrechterhalten; es gibt „stilles“ Radio und Fernsehen, die kein Programm ausstrahlen, sondern nur im Notfall Mitteilungen senden. Angesichts der aktuellen Ereignisse wird in diesem Jahr eine besonders hohe Alarmbereitschaft sichergestellt sein.
Der ernste Charakter, der diesen Tag prägt, hat sich bis heute erhalten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen dauert der Gottesdienst in den jüdischen Gemeinden aller Richtungen beinahe den ganzen Tag. Nach dem Erklingen der drei Schofartöne am Ende von Jom Kippur eilen die Betenden nach Hause, um das Fasten im Kreis der Familie zu brechen. In einigen Synagogen gibt es einen kleinen Imbiss, um auch dieses „Ausfasten“ gemeinsam im Kreis der Synagogengemeinde zu erleben.